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Gender Health Gap

Die Lücke schließen: Was sich hinter der Gender Health Gap verbirgt – und wie sie

sich überwinden lässt



Die Ungleichheit der Geschlechter macht sich in vielen Bereichen bemerkbar, auch in der

Medizin. Diese Versorgungs- und Wissenslücke, die vor allem zulasten von Frauen geht,

nennt man auch “Gender Health Gap”. Und die braucht dringend mehr Aufmerksamkeit


Dass Frauen und Männer dieselben Rechte haben sollten, darüber sind wir uns alle einig.

Deshalb bekämpfen wir auch die Unterschiede, die zwischen den Geschlechtern aufgrund

veralteter, patriarchaler Rollenverteilungen gemacht werden. So weit, so richtig. Während wir

gesellschaftlich also zurecht darauf beharren, dass Frauen und Männer gleich behandelt

werden müssen, müssen wir in der Medizin jedoch genau das Gegenteil erwirken. Wollen

wir medizinische Gleichstellung, brauchen wir geschlechterspezifische

Versorgungsangebote. Ja, richtig gelesen. Biologisch betrachtet, gibt es Unterschiede

zwischen den Geschlechtern, was den Hormonhaushalt, den Stoffwechsel sowie das

Herz-Kreislauf-System betrifft. Dieser Fakt wurde in der Forschung allerdings die längste

Zeit ignoriert. Der Mann war und ist größtenteils immer noch der Standard in der Medizin.

Ein Umstand, der heute in der sogenannten Gender Health Gap resultiert. Und diese Lücke

braucht dringend mehr Aufmerksamkeit, weil es hier um nichts Geringeres, als unsere

Gesundheit geht.



Gender Health Gap und Gender Data Gap


„Frauen sind in vielen Bereichen der Medizin unterrepräsentiert, was dazu führen kann, dass

Krankheiten bei Frauen oft später oder gar nicht diagnostiziert werden. Aus diesem Grund

ist es wichtig, die Geschlechterunterschiede bei der Diagnostik und Behandlung von

Krankheiten zu berücksichtigen und die Forschung in diesem Bereich zu fördern”, weiß Dr.

Viyan Sido. Sie ist Fachärztin für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau, dem

Universitätsklinikum der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Einer ihrer

Forschungsschwerpunkte liegt auf der Gendermedizin, da sich Geschlechterunterschiede

unter anderem bei kardiovaskulären Erkrankungen bemerkbar machen. Frauen weisen

beispielsweise bei einem Herzinfarkt andere Symptome auf, als Männer. Anzeichen eines

Herzinfarkts werden bei Frauen deshalb oft auf psychische Probleme oder auf die

Wechseljahre geschoben.


„Im Bereich der Medizin bezieht sich der Begriff "Gender Data Gap" auf das Fehlen von

geschlechtsspezifischen Daten in der Forschung und klinischen Praxis. Historisch gesehen

wurden medizinische Studien oft nur an Männern durchgeführt und ihre Ergebnisse auf

Frauen übertragen, was zu einer Vernachlässigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in

der Gesundheitsversorgung führte. Deshalb ist gerade in der Medizin der Bedarf an

geschlechtsspezifischer Forschung hoch, weil es an geeigneten Daten fehlt. In diesem

Zusammenhang wird daher nicht nur von der „Gender Health Gap“, sondern auch von der

„Gender Data Gap“ gesprochen”, erklärt Dr. Viyan Sido und führt weiter aus: “Wir stehen vor

einem jahrelangen Rückstand in der Wissenschaft und Forschung diesbezüglich. Auch

Medikamente wurden in der Vergangenheit zu selten an Frauen getestet. In Zukunft wird es allerdings nicht nur wichtig sein, das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht in

der wissenschaftlichen Medizin zu berücksichtigen.”



Medical Gaslighting als Folge des Gender Health Gap


Denn nicht nur körperliche Unterschiede und eine Datenlücke in der Forschung führen zu

Fehlern in der Diagnose von Krankheiten und ihren Behandlungsplänen, auch

Voreingenommenheit von Ärzt*innen aufgrund des Geschlechts spielen in die Gender Health

Gap. Frauen gelten als emotionaler, weshalb es passieren kann, dass Beschwerden auf die

psychische Verfassung der Patientin geschoben oder gar nicht ernst genommen werden.

Das Herunterspielen von Symptomen durch behandelnde Ärzt*innen bezeichnet man auch

als Medical Gaslighting. Ein Phänomen, von dem insbesondere Frauen, nicht-binäre

Personen, mehrgewichtige Menschen und People of Color betroffen sind. Also Menschen,

die im Alltag Diskriminierung erfahren. Diskriminierung, die auch vor einem

Behandlungszimmer nicht haltmacht.



Frauenkrankheiten waren die längste Zeit ein Blind Spot


Medical Gesalighting und der Gender Health Gap stellen deshalb auch in der Frauenmedizin

ein großes Problem dar, weil “Frauenkrankheiten” bisher kaum Priorität in der Forschung

hatten. Auch in der Medizin saßen und sitzen bis heute eben zum Großteil Männer in

Entscheidungspositionen. Krankheiten wie Endometriose, die als zweithäufigste

gynäkologische Erkrankung gilt, werden daher in der Regel erst sehr spät erkannt. Trotz

eines enormen Leidensdrucks müssen Patientinnen in der Regel Jahre auf eine korrekte

Diagnose warten. Auch das polyzystische Ovarialsyndrom, kurz PCOS, bleibt oft unerkannt

und unbehandelt, obwohl die Hormonstörung bei zirka fünf bis zehn Prozent der Frauen im

gebärfähigen Alter auftritt und eine häufige Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch ist.

Darüber hinaus wurde erst im Jahr 2000 das prämenstruelle Syndrom, kurz PMS, als

eigenständige Krankheit eingetragen, obwohl 90 Prozent aller Menstruierenden daran

leiden. Die Ursache für die prämenstruelle dysphorische Störungen, kurz PMDS, die vor der

Menstruation zu depressiven Verstimmungen, Reizbarkeit, Aggressivität und Erschöpfung

führt und oft als bipolare Störung fehldiagnostiziert wird, wurde erst in diesem Jahr

gefunden.


Doch selbst bei Erkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs, die vergleichsweise gut erforscht

und früh erkannt gut behandelbar sind, zeigt sich, dass die Wissenslücke bei Eltern nach wie

vor groß ist. Gebärmutterhalskrebs wird durch humane Papillomviren, kurz HPV, verursacht,

ein Virus, das durch Geschlechtsverkehr übertragen wird. Um das Ansteckungsrisiko zu

minimieren, gibt es seit 2007 eine Impfempfehlung für Mädchen. Diese Impfung deckt die

häufigsten Erreger bei 80% aller Krebsarten des Gebärmutterhalses ab. Seit 2018 gibt es

die Impfempfehlung jedoch erst für Jungs, wodurch die Impfquote hier nach wie vor gering

ist. Dabei können sie nicht nur potenzielle Partner*innen anstecken, sie können selbst durch

humane Papillomviren an Krebsarten im Mund- und Rachenraum sowie an Analkrebs

erkranken. Eine Studie des IGES Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für

Gesundheit hat herausgefunden, dass der Grund für das mangelnde Wissen um die Impfung

in einer allgemein zu geringen medizinischen Aufklärung liegt.

Deshalb arbeitet FRAUEN100 im Jahr 2023 mit der Initiative Entschieden. Gegen Krebs. zusammen, um gemeinsam für mehr Aufklärung zu sorgen.




So lässt sich die Gender Health Gap schließen


Die gute Nachricht ist, dass das Bewusstsein für das Versorgungsungleichgewicht zwischen

den Geschlechtern laut Dr. Viyan Sido wächst: “In der Medizin und in der Politik zeigt sich

eine Wende. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht vor, dass Gendermedizin in

den kommenden Jahren als Fach in Pflege- und Gesundheitsberufen und auch im

Medizinstudium landesweit eingeführt werden soll. Ziel ist es, angehende Ärzt*innen noch

mehr in den geschlechtersensiblen Unterschieden zu schulen. Und auch die Medizin

versucht immer mehr Frauen in den Fokus von Wissenschaft und Forschung zu rücken, das

ist und bleibt wichtig.”


Darüber hinaus wächst die Health- und FemTec-Branche. Letztere wird vor allem von

Frauen angetrieben, die selbst unter der Gender Health Gap leiden. Sie revolutionieren

durch innovative Produkte Stück für Stück den Frauengesundheitssektor und schaffen ein

öffentliches Bewusstsein für das medizinische Ungleichgewicht. In ihren oftmals großen

Communities klären sie zudem über Missstände auf und bieten Raum für Austausch. Dort

findet man nicht nur Trost, durch das Wissen, dass man mit seinen Erfahrungen nicht alleine

ist, man kann durch seine Stimme und Unterstützung auch den Druck auf das

Gesundheitssystem erhöhen, und zwar so lange bis die Gender Health Gap irgendwann

geschlossen ist.


#genderhealthgap #genderdatagap


von Sarah Thiele



Erfahre noch mehr auf der Website von Entschieden.Gegen Krebs.









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