Die „weiblichen Andrew Tates“ und der gefaehrliche Trend zum Anti-Feminismus
19. Dezember 2025

Andrew Tate – laut, reich, frauenverachtend – ist ein Synonym für toxische Männlichkeit geworden. Aber das Problem hat längst ebenso weibliche Gesichter. Frauen wie Erika Kirk, Candace Owens oder Pearl Davis inszenieren Unterordnung, Tradition und Anti-Feminismus als Tugend – und erreichen damit Millionen in den sozialen Medien. Sie zeigen: Antifeminismus ist kein Männerproblem mehr, sondern ein clever inszeniertes System, das alte Machtverhältnisse neu verpackt. Wer auf Tate zeigt, übersieht die Frauen, die ihm die Legitimation liefern.
Andrew Tate ist das perfekte Feindbild. Laut, aggressiv, reich inszeniert, frauenverachtend bis zum Kern. Ein ehemaliger Kickboxer, Selfmade-Millionär im Lamborghini, der jungen Männern erklärt, warum Frauen Schuld an ihrem Unglück sind – und warum Dominanz, Kontrolle und emotionale Kälte die einzig wahre Form von Männlichkeit seien. Tate ist das bekannteste Gesicht der sogenannten Manosphere, eines digitalen Ökosystems aus Dating-Coaches, Pick-up-Artists, Incels und selbsternannten Alpha-Männern. Sein Erfolgsrezept ist simpel: einfache Antworten auf komplexe Krisen. Einsamkeit? Feminismus. Orientierungslosigkeit? Zu viele selbstbewusste Frauen. Fehlender Erfolg? Du bist zu nett.
Andrew Tate ist gefährlich, weil er Frauen entmenschlicht. Weil er Gewalt relativiert. Und weil seine Ideologie millionenfach über Algorithmen verbreitet wird – oft verpackt als Motivation, Humor oder Männlichkeits-Coaching. Doch genau hier liegt unser Denkfehler: Wir glauben immer noch, Antifeminismus habe nur ein männliches Gesicht. Hat er längst nicht mehr – leider.
Antifeminismus in High Heels
Während wir auf Andrew Tate zeigen, übersehen wir seine weiblichen Pendants. Frauen, die Feminismus mit denselben Argumenten bekämpfen, ihn als Lüge, Irrweg oder gesellschaftlichen Verfall framen – und dabei enorm erfolgreich sind. Sie treten eloquent auf, medienerfahren, oft bewusst „vernünftig“ inszeniert. Nicht als wütende Radikale, sondern als Stimme der Ordnung in einer angeblich aus den Fugen geratenen Welt. Diese Frauen sind keine Randfiguren. Sie erreichen Millionen. Und sie sind so wirksam, weil sie etwas liefern, das Andrew Tate nie konnte: „den Beweis“ von innen. Wenn eine Frau sagt, Frauen seien selbst schuld. Wenn eine Frau erklärt, Unterordnung sei erfüllend. Wenn eine Frau Feminismus als toxisch bezeichnet – dann klingt das für viele wie Legitimation.
Erika Kirk – Unterordnung predigen, Macht leben
Ein besonders eindrückliches Beispiel ist Erika Kirk, die Witwe des konservativen Aktivisten Charlie Kirk. Nach außen verkörpert sie das Ideal der „biblischen Weiblichkeit“: blonde Haare, makelloser Auftritt, sanfte Stimme. In ihrem Podcast erklärt sie, Unterordnung sei kein schmutziges Wort, sondern göttliche Berufung. Der Mann als Haupt der Frau, die Frau als unterstützende Kraft. Machtstreben? Unvereinbar mit dem Neuen Testament. Und dann wird ihr Mann ermordet – und Erika Kirk übernimmt. Ohne Zögern. Sie wird Geschäftsführerin von „Turning Point USA“, einer rechtspopulistischen Organisation mit enormem politischem Einfluss. Sie hält Reden, organisiert Großkongresse, spricht neben Donald Trump. Kurz: Sie tut all das, was sie anderen Frauen abspricht.
Der Widerspruch ist kein Zufall, sondern System. Denn Erika Kirk ist keine Ausnahme, sie ist das Produkt des Feminismus, den sie bekämpft. Hochgebildet, beruflich erfolgreich, unternehmerisch aktiv. Sie nutzt die Freiheiten, für die andere Frauen gekämpft haben – und verkauft gleichzeitig ein Frauenbild, das genau diese Freiheiten delegitimiert. Antifeminismus funktioniert am besten, wenn er performt wird.
Die Illusion der Tradwife
Die sogenannte Tradwife-Bewegung folgt demselben Muster. Sie verkauft eine nostalgische Fantasie von Hausfrauenglück, Brotbacken und klaren Rollen – als Antwort auf Überforderung, Vereinbarkeitsstress und gesellschaftliche Unsicherheit. Doch hinter der vermeintlichen Rückkehr zum Herd stehen häufig Unternehmerinnen mit Onlineshops, Markenkooperationen und sechsstelligen Einnahmen. Keine Rückbesinnung, sondern ein Geschäftsmodell.
Tradwife ist kein Lebensstil, sondern Marketing. Eine Manufactum-Version von Mutterschaft: ästhetisch, entschleunigt, scheinbar einfach. Und vor allem politisch. Denn sie suggeriert, Feminismus habe Frauen unglücklich gemacht – und nicht strukturelle Ungleichheit, fehlende Betreuung, Care-Arbeit ohne Anerkennung. Was wiederrum die Wahrheit wäre.
Die weiblichen Lautsprecher des Antifeminismus
Doch Erika Kirk ist nicht alleinige Vorrreiterin – es streiten sich mehrere Frauen um den Titel. Unter anderem Candace Owens. Diese inszeniert sich als mutige Wahrheitssprecherin gegen eine „woke Elite“. Sie erreicht Millionen auf YouTube und Social Media, spricht regelmäßig über BLEXIT und behauptet, Feminismus habe schwarze Frauen in eine Opferrolle gedrängt. Owens inszeniert sich als Stimme der Vernunft, rational und nüchtern, während sie gleichzeitig extreme politische Narrative verbreitet. Sie ist rhetorisch versiert und nutzt geschickt Humor und Provokation, um ihre Botschaften viraler zu machen.
Pearl Davis nennt sich selbst die weibliche Andrew Tates und betreibt den Kanal „JustPearlyThings“. Dort verharmlost sie Sklaverei und Kolonialismus, relativiert patriarchale Strukturen und erklärt, moderne Frauen seien verwirrt und müssten wieder lernen, gehorsam zu sein. Ihre Strategie: naiv wirken, Schwäche simulieren („I’m not that smart“) und so Kritik abwehren, während sie gleichzeitig reaktionäre Werte transportiert. Sie kombiniert Talkshow-Formate mit polarisierenden Debatten und gibt Männern die vermeintliche Legitimation, Frauen zu bevormunden. Auch Lauren Southern ist bekannt für ihre rechtsextremen Aktivitäten, etwa ihre Unterstützung der Identitären Bewegung „Defend Europe“. Sie verwendet eine Kombination aus rassistischer, antifeministischer und migrationskritischer Rhetorik, um kulturelle Homogenität zu propagieren. Southern ist strategisch: Sie inszeniert sich als Kämpferin für westliche Werte und nutzt virale Inhalte, um junge Menschen politisch zu mobilisieren.
Dann gibt es auch noch Brett Cooper, welche Popkultur, Politik und Feminismus kommentiert und eine klare Mission hat: junge Menschen zurück zur „Vernunft“ zu führen. Sie inszeniert sich als rationales Gegenstück zu extremen Wokeness-Positionen, spricht über die Verwirrung Jugendlicher und kritisiert moderne Feminismus-Debatten. Ihre Auftritte bei Fox News oder in konservativen Medien positionieren sie als moralische Autorität. Was diese Frauen eint, ist nicht nur ihre Ablehnung feministischer Errungenschaften, sondern ihre Rolle als kulturelle Übersetzerinnen. Sie machen reaktionäre Ideologien anschlussfähig. Emotional, unterhaltsam, algorithmusgerecht. Und sie liefern Männern wie Andrew Tate die perfekte Ergänzung: den Beweis, dass Frauen selbst gegen Gleichberechtigung argumentieren.
Doch das Problem ist nicht nur international
Die Phänomene, die wir bei Erika Kirk und Co. beobachten, sind nicht auf die USA beschränkt. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es Frauen, die sich als weibliche Andrew Tates inszenieren. Ein prominentes Beispiel ist Eva Herman, ehemalige Fernsehmoderatorin, die heute über Telegram und Bücher traditionelle Geschlechterrollen propagiert. Herman bezeichnet Feminismus als Irrweg, idealisiert Mutterschaft und Unterordnung und verknüpft diese Narrative häufig mit konservativen und rechtspopulistischen Positionen. Sie erreicht ein Millionenpublikum und vermittelt, dass Gleichberechtigung Frauen unglücklich macht. Auch im rechten oder identitären Umfeld gibt es Frauen, die patriarchale Argumente als rational und modern verkaufen und so antifeministische Ideologien verstärken. Das zeigt: Antifeminismus im High-Heels-Look ist längst auch ein DACH-Phänomen – clever verpackt, medial wirksam und mit einem großen Einfluss auf die öffentliche Meinung.
Warum das so gefährlich ist
Antifeminismus von Frauen ist kein harmloser Widerspruch, sondern ein strategischer Verstärker. Er entpolitisiert Ungleichheit, individualisiert strukturelle Probleme und verschiebt Verantwortung zurück zu den Einzelnen – meistens zu Frauen selbst. Wenn Frauen ihre eigene Unterordnung als Empowerment verkaufen, wird Feminismus nicht nur diskreditiert, sondern moralisch delegitimiert. Das eigentliche Problem ist also nicht Andrew Tate allein. Es ist ein System, das von Verunsicherung lebt, von Polarisierung profitiert und alte Machtverhältnisse in neuem Gewand verkauft. Mit männlichen Lautsprechern – und weiblichen Aushängeschildern.
Feminismus braucht Klarheit, nicht Kuscheln
Feminismus war nie dafür da, bequem zu sein. Er war immer unbequem, konflikthaft, widerständig. Wer heute unter dem Deckmantel von Freiheit, Vernunft oder Tradition Gleichberechtigung zurückdrehen will, muss klar benannt werden – unabhängig vom Geschlecht. Denn der gefährlichste Antifeminismus kommt nicht immer mit geballter Faust. Manchmal kommt er unglaublich gut gekleidet, lächelnd und mit perfektem Kussmund.
Text von Rebecca Stringa




