Die unterschaetzte digitale Gewalt auf Vinted und Co.
4. November 2025

Hast du dir eigentlich schon Gedanken gemacht, wo deine Fotos landen, die du für Vinted, Mädchenflohmarkt oder Kleinanzeigen machst? Im schlimmsten Fall genau dort, wo sie garantiert nicht hingehören: auf Pornoseiten. Mehrere Nutzerinnen berichten, dass Tragebilder – Fotos, auf denen Kleidung am Körper gezeigt wird, um Schnitt und Passform zu zeigen – ohne Zustimmung kopiert, archiviert und sexualisiert weiterverwendet wurden. Was für viele als simpler, nachhaltiger Konsum begann, wird für Frauen zunehmend zu einem Ort digitaler Gewalt.
Von harmlosen Tragebildern zu Übergriffen
Es beginnt harmlos: „Kannst du ein Tragebild machen?“ – eine ganz normale Nachfrage von Käuferinnen und Käufern. Doch die Realität sieht oft anders aus: zweideutige Kommentare, Aufforderungen, weitere Fotos zu schicken, Nachrichten mit sexuellem Unterton. Wer glaubt, der Albtraum endet bei Vinted, irrt: In Telegram-Gruppen wie „Girls of Vinted“ werden Profilbilder und Tragebilder systematisch gesammelt, kommentiert und sexualisiert weiterverbreitet. Das Problem: Die meisten Täter agieren anonym, mit Fake-Profilen oder VPN. Screenshots existieren zuhauf, trotzdem wird kaum jemand strafrechtlich verfolgt. Die Polizei scheitert an fehlender Identifizierbarkeit, internationale Server, fehlendes Impressum, Pseudonyme – willkommen im rechtsfreien Raum des digitalen Missbrauchs.
Vinted sagt: Wir nehmen das ernst. Die Realität sagt: Na ja
Auf Nachfrage von Autorin Rebecca Stringa betont Vinted: „Bei Vinted steht eine sichere und einfache Nutzererfahrung für alle Mitglieder an erster Stelle. Wir bedauern sehr, von den negativen Erfahrungen unserer Mitglieder zu hören und nehmen diese Vorfälle sehr ernst. (…) Wir setzen Maßnahmen ein, um unangemessenes Verhalten zu unterbinden – einschließlich der Sperrung von Konten auf der Plattform. Dabei überprüfen wir unsere Systeme regelmäßig und entwickeln unsere Schutzmechanismen weiter, um solche Vorfälle zu verhindern und schnell darauf zu reagieren.“ In der Praxis bleibt vieles dennoch an den Nutzerinnen hängen: Tragebilder sollen ohne Gesicht aufgenommen werden, Meldungen und Blockierungen erfolgen eigenverantwortlich, und wer außerhalb der Plattform belästigt wird, steht oft allein da. Die rechtliche Aufklärung scheitert regelmäßig an der Anonymität der Täter, an fehlender Identifizierbarkeit und an den internationalen Strukturen der Server, auf denen die Inhalte landen.
Frauen wehren sich – Petitionen als Antwort
Gegen diesen digitalen Missbrauch gehen Frauen aktiv vor: Alicia Osiik fordert in ihrer Petition eine Screenshot-Sperre für Vinted, damit Tragebilder nicht mehr unbefugt gesichert und weiterverbreitet werden können. Über 19.000 Menschen (Stand: 3.11.25) unterstützen bereits ihren Vorstoß, weil Schutz kein Nice-to-have, sondern notwendig ist. Mina Camira berichtet ebenfalls von systematischem Stalking: Ihre Bilder landeten auf Pornoplattformen, private Daten wurden weitergegeben, Belästigungen durch Nachrichten waren Alltag. Sie fordert in ihrer Petition (mit fast 32.000 Unterschriften, Stand: 3.11.25) von Vinted unter anderem eine Screenshot-Sperre, eine Verifizierungspflicht aller Nutzerinnen und Nutzer, den Schutz sensibler Daten durch QR-Verschlüsselung der Absendeadressen und einen optimierten Wortfilter, der sexualisierte Nachrichten blockiert, bevor sie die Betroffenen erreichen. Beide Petitionen zeigen: Es geht nicht nur um Komfort, es geht um Schutz vor Gewalt, die digital stattfindet, aber genauso erniedrigend und demütigend ist wie offline.
Was jede*r tun kann
Tragebilder möglichst neutral, ohne Gesicht aufnehmen,
Kommunikation innerhalb der Plattform halten,
verdächtige Profile melden und blockieren,
Screenshots und Chatverläufe sichern,
Beratungsstellen und Onlineforen für digitale Gewalt nutzen
Es sind kleine Schritte, aber sie schützen zumindest ein Stück weit vor digitalem Missbrauch.
Fazit: Auch online ist Gewalt Gewalt
Was der Fall Vinted zeigt: Die Digitalisierung hat nicht nur unseren Konsum verändert, sondern schafft auch neue Räume für übergriffiges Verhalten. Dass harmlose Tragebilder Ware für Männerfantasien sind, ist ein Symptom unserer Zeit – eines, das nicht nur verstört, sondern konkrete gesellschaftliche, politische und rechtliche Antworten fordert. Statt Empathie mit den Betroffenen liest man in Kommentarspalten der Tagesschau jedoch viel zu oft Täter-Opfer-Umkehr: „Dann lad eben keine Tragebilder hoch“ oder „Muss man sich halt vorher überlegen“ – als sei es normal, dass Frauen mit der ständigen Gefahr sexueller Vereinnahmung rechnen müssen. Solche Reaktionen verschieben die Verantwortung – weg von den Tätern und hin zu den Frauen. Das ist nicht nur falsch, das ist gefährlich.
Die Lösung kann nicht sein, dass Frauen sich unsichtbar machen. Es reicht nicht, dass Plattformen wie Vinted Bedauern äußern. Schutz muss systemisch sein, Täter müssen konsequent gestoppt werden. Jede Nutzerin sollte sich darauf verlassen können, dass ihre Fotos nicht missbraucht werden und dass sie online genauso sicher ist wie offline. Jede sexuell übergriffige Nachricht, jede missbräuchliche Weiterverbreitung ist Gewalt an Frauen. Nur weil sie online stattfindet, ist sie nicht weniger grenzüberschreitend, nicht weniger demütigend und nicht weniger ernst zu nehmen. Frauenrechte enden nicht, sobald der Bildschirm eingeschaltet wird.
Text von Rebecca Stringa.





