Singles Day – oder warum es peinlich ist, einen Freund zu haben
12. November 2025

Wir leben in einer faszinierenden Epoche: Da wird einerseits im Internet diskutiert, ob es mittlerweile peinlich ist, einen Freund zu haben – andererseits feiern wir jedes Jahr den Singles Day, der längst vom charmanten Selbstliebe-Gag zum kapitalistischen Einkaufsblitzkrieg umfunktioniert wurde. Doch vielleicht ist es an der Zeit, diesen ursprünglichen Gedanken wieder aus den Karton-Bergen des Onlinehandels herauszubuddeln.
Ende Oktober ging ein Artikel der britischen „Vogue“ viral, der die Frage stellte: „Ist es peinlich einen Freund zu haben?“ Darin hieß es sinngemäß: Sobald jemand auf Social Media das Wort „Mein Freund“ nur andeutet, wird er sofort stumm gestellt. Beziehungen – besonders heterosexuelle – seien online plötzlich verdächtig und wirken zu nah an der eigenen Identität schnell wie Lifestyle-Accessoires: der Mann als Qualitätsnachweis. Und obwohl Beziehungen natürlich weiter existieren, wirke die öffentliche Selbstdarstellung dazu inzwischen so heikel, dass selbst glückliche Paare ihre Partner verpixelt, angeschnitten, verhüllt oder nur als Schatten eines Unterarms zeigen. Denn Frauen wollen heute nicht mehr als jemand gelesen werden, dessen Identität sich an der Anwesenheit eines Mannes auflädt. Der Artikel beschreibt zudem, wie Frauen heute versuchen, gleichzeitig nicht „langweilig“ monogam und nicht beziehungsfixiert zu wirken. Es geht um Balance aka. „Ich bin vergeben, aber ich bin noch cool.“ So weit, so gut.
Und jetzt: Singles Day
Der Singles Day entstand in den 1990ern in China, ausgedacht von Studenten, die sich selbst feiern wollten. Der 11.11. mit seinen vier Einsen sollte spielerisch zeigen: Wir sind alleine und wir nehmen uns selbst ernst genug, um das nicht peinlich zu finden. Das war nicht verbittert, nicht defensiv, sondern bewusst. Und dann kam der große Plot Twist: Alibaba sah das Potenzial und machte daraus das größte Shopping-Fest der Welt. Aus Selbstzuwendung wurde Konsum. Aus Selbstbestätigung wurde: „Wenn du Single bist, kauf dir was.“
Warum wir den Tag zurück brauchen
Die Gegenwart gibt uns eigentlich das perfekte Narrativ zurück. Single zu sein bedeutet heute nicht mehr, auf etwas zu warten. Es ist kein Übergangszustand, den man möglichst schnell hinter sich bringt. Es ist ein Lebensmoment mit Eigenwert. Eine Phase, in der man sich selbst neben niemandem definieren muss. Eine Zeit, in der man Hauptfigur seines Lebens ist, ohne dass jemand die Handlung lenkt.
Vielleicht sollte der Singles Day also weniger „Rabattwahnsinn“ und mehr „Ich nehme mich ernst“ bedeuten. Kein Self-Care-Serum für 89 Euro, sondern Zeit. Ein Abend mit Freundinnen, die man lange nicht getroffen hat. Ein Kinobesuch alleine, weil man den Film genau jetzt sehen möchte. Eine Flasche Wein am Küchentisch ohne Ziel. Ein Spaziergang, ohne sich überlegen zu müssen, ob jemand auf die Nachricht antwortet. Ein Moment, in dem man sich nicht beweisen muss, dass man genug ist – weil man es ist.
Und was das alles mit dem Boyfriend-Dilemma zu tun hat
Wenn wir Single-Sein wieder feiern, müssen Beziehungen nicht mehr als Währung dienen. Dann ist das Wort „Freund“ nicht länger ein kultureller Marker für Erfolg oder Relevanz. Dann kann eine Beziehung wieder das sein, was sie mal war: eine Entscheidung, nicht ein Nachweis. Und vielleicht wird dann irgendwann auch wieder selbstverständlich, einen Freund zu haben, ohne dass es nach Identitätsaufgabe klingt.
Bis dahin: Genieße deine Single-Tage. Ohne Einkaufswagen. Ohne Lieferung. Nur mit dir.
Text von Rebecca Stringa




