So funktioniert das Prinzip „Frauenhaus“ in Deutschland
20. November 2025

„Warum bist du nicht einfach ins Frauenhaus gegangen?“, so lautet ein Spruch, der Betroffenen häuslicher Gewalt oft begegnet. Die Wahrheit dahinter: Frauenhäuser sind keine Selbstverständlichkeit. Plätze sind knapp, Personal fehlt, und in vielen Bundesländern müssen Frauen für ihren eigenen Schutz zahlen – bis zu 900 Euro pro Monat. Deutschland hat sich mit der Istanbul-Konvention verpflichtet, Frauen vor Gewalt zu schützen. Doch Realität ist ein Flickenteppich aus finanzieller Unsicherheit, überlasteten Einrichtungen und bürokratischen Hürden.
Gewalt in Partnerschaften ist in Deutschland weit verbreitet. Jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren hat mindestens einmal körperliche oder sexuelle Übergriffe durch Partner erlebt. Fast jede zweite Frau (42 Prozent) erfährt psychische Gewalt: Einschüchterung, Demütigung, aggressive Drohungen, bis hin zu Psychoterror. Kinder sind dabei fast immer Zeugen – oft auch Opfer indirekter Gewalt. Für die meisten Frauen beginnt der Weg ins Frauenhaus nicht plötzlich. Er ist das Ergebnis von Jahren des Schweigens, der Angst und verzweifelter Versuche, sich selbst oder die Kinder zu schützen. Viele haben bereits alles versucht, bevor sie Hilfe suchen.
Frauenhäuser – Schutzräume, die kosten
Frauenhäuser sind weit mehr als nur Unterkünfte. Sie bieten Schutz, Beratung, Kinderbetreuung, psychosoziale Unterstützung und rechtliche Orientierung. Sie sind ein sicherer Hafen, in dem Frauen selbstbestimmt ihre Zukunft planen können. Doch dieser Hafen ist oft nur mit Kosten zugänglich. Viele Frauenhäuser in Deutschland erheben Nutzungsgebühren, die die Betroffenen selbst tragen müssen. Für eine Mutter mit zwei Kindern können das schnell 900 Euro pro Monat sein – zusätzlich zu Miete oder Lebenshaltungskosten. Für viele unvorstellbar, für einige ein Grund, das Frauenhaus gar nicht erst aufzusuchen. Wer keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat oder eigenes Einkommen bezieht, bleibt außen vor – oder kehrt in die Gewaltbeziehung zurück. Die Finanzierung von Frauenhäusern ist ein Flickenteppich: Länder und Kommunen tragen den größten Teil, Träger müssen Gegenfinanzierung leisten, private Spenden füllen die Lücken. Und am Ende zahlen oft die Frauen selbst.
Professionalität und Engagement unter Druck
Trotz ihrer zentralen Rolle im Schutzsystem sind Frauenhäuser chronisch unterfinanziert. Viele Mitarbeiterinnen berichten von Überlastung, Burnout und fehlenden Ressourcen. Plätze sind knapp: Tausende Frauen müssen täglich abgewiesen werden, weil die Einrichtungen voll sind. Beratungsstellen können nicht alle Anfragen bedienen, und in manchen Regionen fehlt das Personal vollständig, um Kinderbetreuung oder psychosoziale Betreuung sicherzustellen.
Doch Frauenhäuser leisten weit mehr als nur Nothilfe. Sie beraten in rechtlichen, finanziellen und sozialen Fragen, begleiten Frauen beim Beantragen von Unterhalt, Sorgerecht oder Sozialleistungen. Sie sind gleichzeitig Bildungs- und Unterstützungsorte, psychologische Anlaufstelle und oft der einzige sichere Raum für Mütter und Kinder.
Ein Flickenteppich der Gerechtigkeit
Deutschland hat 2011 die Istanbul-Konvention ratifiziert, die jedem Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt ein Recht auf Schutz zuspricht. Bundesweit fehlen jedoch über 14.600 Frauenhausplätze. Der Zugang zu Schutz ist oft abhängig von Einkommen, Aufenthaltsstatus oder Bundesland. Studentinnen, berufstätige Frauen mit geringem Einkommen oder Migrantinnen ohne fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung haben oft keinen Zugang. Auch die Länderfinanzierung ist freiwillig und instabil. Steigende Energie- und Personalkosten verschärfen die Situation zusätzlich. In vielen Regionen müssen Frauenhäuser schließen oder reduzieren ihre Kapazitäten – während Gewalt gegen Frauen weiter Alltag bleibt.
Wege in den Schutz – oft steinig und belastend
Der Weg ins Frauenhaus ist für viele Frauen ein Kraftakt. Zunächst muss sie den Mut finden, Hilfe zu suchen. Dann wird oft geprüft, ob ein Platz frei ist. Bei akuter Gefahr wird die Frau begleitet – oft mit ausgeschaltetem Handy, um eine Nachverfolgung durch den Täter zu verhindern. Doch selbst nach der Aufnahme warten Hürden: finanzielle Belastung, Unsicherheit über Dauer des Aufenthalts, Organisation des Alltags. Frauen sind gezwungen, sich selbst zu versorgen, während sie traumatische Erfahrungen verarbeiten. Die Mitarbeiter*innen stehen dabei ständig unter Druck: Sie treffen Entscheidungen, die über Leben und Sicherheit der Frauen entscheiden.
Hoffnung auf ein Bundesgesetz
Einige Bundesländer – wie Thüringen – planen, die Verantwortung für Frauenhäuser wieder in Landeshand zu legen und die Nutzungsgebühren abzuschaffen. Der eigentliche Durchbruch wäre jedoch ein Bundesgesetz, das flächendeckend kostenfreien Zugang zu Frauenhäusern garantiert. Damit würde der Aufenthalt im Frauenhaus nicht länger von Einkommen, Aufenthaltsstatus oder Wohnort abhängen. Jede Frau hätte Anspruch auf Schutz, Beratung und Unterstützung – ohne Angst vor Schulden oder Abweisung. Bis dieses Gesetz Realität wird, bleibt vieles an Frauen, die Gewalt erfahren, ein Glücksspiel: Wer Schutz sucht, findet nicht immer einen Platz; wer einen Platz findet, muss oft zahlen, was viele abschreckt.
Warum wir nicht länger schweigen dürfen
„Warum ist sie nicht einfach ins Frauenhaus gegangen?“ – diese Frage ist ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die Gewalt erlebt haben. Der Grund, warum Frauen keinen Schutz suchen, liegt oft nicht an Mutlosigkeit, sondern an fehlender finanzieller Sicherheit, unzureichender Kapazität und politischem Versagen. Frauenhäuser sind nicht Luxus, sie sind lebensnotwendig. Jeder Platz, jede Fachkraft, jede Unterstützung ist ein Rettungsanker. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland die Istanbul-Konvention ernst nimmt und Frauenhäuser bundesweit flächendeckend, kostenfrei und gut ausgestattet bereitstellt. Für jede Frau, die Schutz braucht. Für jede Mutter, die ihre Kinder retten will. Für jede Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen nicht länger tolerieren will.
Text von Rebecca Stringa




