Michelle Obama & The Real Housewives
24. September 2025

Ich stelle sie mir auf einem Sofa vor, nach einem langen Tag voller Meetings mit Staatsoberhäuptern und der Einweihung neuer Kinderkrankenhäuser. Er mit einem guten Buch, sie unter einer flauschigen Decke, mit ihren Lieblingschips und der Fernbedienung in der Hand. Schon beim ersten Ton der Titelmelodie setzt bei ihr die Entspannung ein, er seufzt und rollt mit den Augen. Sie ignoriert ihn. Vielleicht räuspert er sich, doch sie ist schneller: „Nein, Barack, nicht heute. Ich gucke jetzt The Real Housewives, und du guckst mit – oder gehst woanders lesen.“ Michelle Obama: what an icon. Eine Ikone, die Reality TV liebt.
Wenn Ikonen Trash lieben: Real Housewives als guilty pleasure ohne guilt
Wie erleichternd, dass eine der am meisten bewunderten Frauen der Welt sich ebenfalls an den verwöhnten, wohlhabenden Damen erfreut, die auch mich in einen Zustand vollkommener Entspannung versetzen. In einer Welt zwischen Doomscrolling und Tradwives bin ich dankbar für diese Ablenkung – nein, Entlastung – in der es zu epischen Schreigefechten über ungerechte Zimmerverteilungen im Urlaub kommt. Sie scheitern. Sie streiten. Sie werden laut. Und messy! Da ist nicht immer viel Anstand oder Grace, und doch eine Art kaputte Eleganz. Female Rage, ja, aber auch Female Leichtigkeit.
Zwischen Chips, Titelmelodie und Augenrollen
Michelle Obama sagt: „I watch it all“, und alle anwesenden Männer der Podcast-Aufnahme so: „Huch“. Wie kann es sein, dass eine intelligente, gebildete, mächtige Frau „so etwas“ guckt? Schließlich wissen wir dank Dr. Ryan Dougherty von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, dass Trash-TV angeblich das Hirn schrumpfen lässt – zumindest die Teile, die für kognitive Fähigkeiten zuständig sind. Scheint Michelle nicht zu kümmern. Mich auch nicht. Vielleicht haben Frauen, die Real Housewives lieben, einfach so große Hirne, dass ein bisschen Shrinkage nichts ausmacht. Da steckt so viel Odyssee, Shakespeare-Drama und Austens intrafemale Rivalität drin…das kann doch nur bildend sein?
Die lange Tradition des Dramas
Aber ich muss es gar nicht schönreden. Ich weiß, wie es mich und andere fühlen lässt. Wenn ich in einer Frauenrunde über Reality TV im Allgemeinen oder Real Housewives im Besonderen spreche, leuchten unsere Gesichter. Wir tauschen uns über die besten Staffeln und Städte aus, reden in Taglines und ehrwürdigen Schrei-Sätzen (wohlgemerkt auf beruflichen Netzwerkveranstaltungen).
Ich fühle mich nicht schuldig für etwas, das mir so offensichtlich Freude bereitet. Ich muss es nicht kleinreden, mich darüber lustig machen oder es ironisch als Kultursnobismus tarnen. Nein: Mein Eskapismus darf schreien, absurd sein und fragen, ob jemand im Badezimmer gekokst hat.
Freude, die nicht entschuldigt werden muss
Niemand sollte mit den Augen rollen, wenn andere Menschen etwas genießen, das sie glücklich macht. Nicht einmal Michelle Obamas Ehemann.
Text von Elina Pener





