Wenn Medizin Maennersache bleibt – die Gender Health Gap
25. August 2025

Von Herzinfarkt über Medikamente bis zu Nebenwirkungen: Die Gender Health Gap sorgt dafür, dass unsere Gesundheit immer noch ein bisschen zu oft ein „Männerproblem“ ist. Aber hey, wer hätte gedacht, dass Ungleichheit sogar schon beim Schlaf anfängt?
Eine Frau geht zum Arzt. Die Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen. Oder Atemnot, Schlaflosigkeit, Engegefühl im Oberbauch. Was hat sie? Tja – gute Frage. Häufig wird es falsch interpretiert. Das Gegenbeispiel: Schmerzen in der Brust, die in den linken Arm strahlen. Zack – Herzinfarkt, ab ins Krankenhaus! Richtig so.
Nur: Dieses „klassische“ Symptom galt jahrzehntelang als DIE Definition eines Herzinfarkts – obwohl es nur für Männer typisch ist. Frauen zeigen oft andere Symptome, die viel weniger bekannt sind. Ergebnis: Sie kommen im Schnitt zwei Stunden später in die Notaufnahme. Zwei Stunden, die über Leben und Tod entscheiden können. Und das ist nur ein Beispiel. Und was man allgemein als Gender Health Gap bezeichnet – dem medizinischen Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Woran liegt das? Primär daran, dass es zu wenig Daten von biologisch weiblichen Personen gibt. Und dass viele Frauen sich beim Arzt einfach nicht beachtet und verstanden fühlen. Eine Studie des Healthtech-Unternehmens Doctolib verdeutlicht: Frauen fühlen sich in ärztlichen Praxen häufiger nicht ernstgenommen. Während 82 Prozent der befragten Männer angaben, mit ihrem letzten Arztbesuch zufrieden gewesen zu sein, sagten dies nur 75 Prozent der Frauen.
Das Problem hat einen weiteren Namen: Gender Data Gap
Die Medizin fußt auf Daten. Blöd nur, dass die Datenlage für Frauen dünner ist als für Männer. Über Jahrzehnte wurde fast alles an männlichen Körpern erforscht: Medikamente, Therapien, Studien. Männer waren „praktischer“ als Probanden: kein Zyklus, keine Schwangerschaften, keine hormonellen Schwankungen. Und Studienleiter waren – Überraschung – meistens Männer.
Die Folge: Frauen bekamen dieselben Dosierungen wie Männer. Nur, dass ihre Körper anders reagieren. Beispiel gefällig? Ein Antidepressivum, das bei gleicher Dosis bei Frauen einen bis zu 100 Prozent höheren Blutspiegel verursacht. Das Risiko einer Überdosierung inklusive. Oder ein Herz-Kreislauf-Medikament, das das Leben von Männern verlängert – bei Frauen dagegen verkürzt. Kein Tippfehler.
Fortschritt? Ja, aber langsam.
Seit 1994 sind in den USA, seit 2005 auch in der EU, Frauen in klinischen Studien Pflicht. Klingt gut, heißt aber noch lange nicht, dass geschlechtsspezifisch ausgewertet wird. Oft wird einfach gemittelt. Eine „Durchschnittsdosis“ für Mann und Frau? Praktisch für die Pharmaindustrie, nur eben medizinisch nutzlos. Und so wird weiter verkannt, dass weibliche Körper anders funktionieren: vom Hormonhaushalt über Stoffwechsel und Fettanteil bis hin zum Immunsystem. Wer diese Unterschiede ignoriert, produziert nicht Medizin für alle – sondern für Männer.
Warum wir darüber sprechen müssen
Weil es gefährlich ist. Weil Frauen weiterhin später diagnostiziert, falsch behandelt oder überdosiert werden. Weil Krankheiten wie Endometriose noch immer erschreckend unerforscht sind. Und weil es schlicht nicht sein kann, dass die Hälfte der Menschheit medizinisch zur Fußnote degradiert wird. Das Absurde: Gendermedizin nützt nicht nur Frauen, sondern auch Männern. Wer genauer hinschaut, findet auch für sie bessere Therapien und Dosierungen. Eigentlich eine Win-win-Situation – wenn man die Mühe nicht scheut.
Wie man das Problem ändern könnte
Insbesondere der Zeitmangel in ärztlichen Praxen gilt demnach als zentrales Hindernis für eine gute Versorgung. So fehlt es an Möglichkeiten, ärztliche Gespräche angemessen abzurechnen – das System sieht zwar Ziffern für verschiedene Behandlungsformen vor, nicht aber für beratende Gespräche. Ärzt:innen könnten sich demnach zwar Zeit nehmen, würden dafür jedoch nicht entlohnt. Dies trägt dazu bei, dass das Gespräch mit Patientinnen im Praxisalltag oft zu kurz komme – mit der Folge, dass sich viele nicht ausreichend wahrgenommen oder verstanden fühlten. Durchschnittlich stehen z. B. für die Behandlung einer Patientin in einer gynäkologischen Praxis lediglich 7,6 Minuten zur Verfügung – eine Zeitspanne, die kaum ausreicht, um sowohl körperliche Untersuchung als auch Beratung angemessen durchzuführen.
Und nun? Ein paar Impulse:
Stärkere Förderung von sprechender Medizin
Medizinische Leistungen, die Zeit und Zuwendung erfordern, sollten im Gesundheitssystem grundsätzlich höher bewertet werden. Das betrifft nicht nur die Gynäkologie, sondern auch Hausärzt:innen, Psychotherapeut:innen oder Schmerzmediziner:innen.Einführung einer abrechenbaren Gesprächsleistung
Ein zentraler Hebel wäre die Einführung einer eigenen Abrechnungsziffer für ärztliche Beratungsgespräche, insbesondere im Bereich Frauengesundheit. Gespräche müssten als eigenständige medizinische Leistung anerkannt und entsprechend vergütet werden – unabhängig von technischen oder apparativen Maßnahmen.Interdisziplinäre Versorgungsteams und längere Taktzeiten
In größeren medizinischen Einrichtungen könnten interdisziplinäre Teams bestehend aus Ärzt:innen, Psycholog:innen und Fachpflegekräften die Versorgung auf mehrere Schultern verteilen – inklusive längerer Terminzeiträume für komplexe Fälle.Digitalisierung sinnvoll nutzen
Digitale Anamnesetools und strukturierte Fragebögen vor dem Termin könnten helfen, wichtige Informationen vorab zu erfassen und so die tatsächliche Gesprächszeit effizienter zu nutzen – ohne sie zu verkürzen.Gesundheitspolitische Priorisierung von Frauengesundheit
Das Thema braucht Sichtbarkeit auf politischer Ebene – etwa durch Förderprogramme, gesetzliche Anpassungen oder gezielte Forschung zu geschlechterspezifischer Medizin. Nur so lassen sich strukturelle Lücken langfristig schließen.
Und weil das alles noch nicht reicht …
... gönnt uns die Biologie auch noch den Gender Sleep Gap. Frauen brauchen im Schnitt mehr Schlaf als Männer – und bekommen trotzdem weniger. Weil sie nachts öfter geweckt werden, weil Zyklus und Hormone reinfunken, weil Carearbeit immer noch ungleich verteilt ist. Frauen schlafen pro Nacht bis zu drei Stunden weniger. Drei!
Also, falls du dachtest, die Gender Health Gap wäre schon genug: offenbar gönnt uns das System nicht mal unsere verdiente Mütze Schlaf.
Text von Rebecca Stringa





.png)