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Gender Health Gap

28. Februar 2023

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Die Lücke schließen: Was sich hinter der Gender Health Gap verbirgt – und wie sie

sich überwinden lässt


Die Ungleichheit der Geschlechter macht sich in vielen Bereichen bemerkbar, auch in der Medizin. Diese Versorgungs- und Wissenslücke, die vor allem zulasten von Frauen geht, nennt man auch “Gender Health Gap”. Und die braucht dringend mehr Aufmerksamkeit


Dass Frauen und Männer dieselben Rechte haben sollten, darüber sind wir uns alle einig. Deshalb bekämpfen wir auch die Unterschiede, die zwischen den Geschlechtern aufgrund veralteter, patriarchaler Rollenverteilungen gemacht werden. So weit, so richtig. Während wir gesellschaftlich also zurecht darauf beharren, dass Frauen und Männer gleich behandelt werden müssen, müssen wir in der Medizin jedoch genau das Gegenteil erwirken. Wollen wir medizinische Gleichstellung, brauchen wir geschlechterspezifische Versorgungsangebote. Ja, richtig gelesen. Biologisch betrachtet, gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was den Hormonhaushalt, den Stoffwechsel sowie das Herz-Kreislauf-System betrifft. Dieser Fakt wurde in der Forschung allerdings die längste

Zeit ignoriert. Der Mann war und ist größtenteils immer noch der Standard in der Medizin. Ein Umstand, der heute in der sogenannten Gender Health Gap resultiert. Und diese Lücke braucht dringend mehr Aufmerksamkeit, weil es hier um nichts Geringeres, als unsere Gesundheit geht.



Gender Health Gap und Gender Data Gap


„Frauen sind in vielen Bereichen der Medizin unterrepräsentiert, was dazu führen kann, dass Krankheiten bei Frauen oft später oder gar nicht diagnostiziert werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Geschlechterunterschiede bei der Diagnostik und Behandlung von Krankheiten zu berücksichtigen und die Forschung in diesem Bereich zu fördern”, weiß Dr. Viyan Sido. Sie ist Fachärztin für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau, dem Universitätsklinikum der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt auf der Gendermedizin, da sich Geschlechterunterschiede unter anderem bei kardiovaskulären Erkrankungen bemerkbar machen. Frauen weisen beispielsweise bei einem Herzinfarkt andere Symptome auf, als Männer. Anzeichen eines Herzinfarkts werden bei Frauen deshalb oft auf psychische Probleme oder auf die Wechseljahre geschoben.


„Im Bereich der Medizin bezieht sich der Begriff "Gender Data Gap" auf das Fehlen von geschlechtsspezifischen Daten in der Forschung und klinischen Praxis. Historisch gesehen wurden medizinische Studien oft nur an Männern durchgeführt und ihre Ergebnisse auf Frauen übertragen, was zu einer Vernachlässigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Gesundheitsversorgung führte. Deshalb ist gerade in der Medizin der Bedarf an geschlechtsspezifischer Forschung hoch, weil es an geeigneten Daten fehlt. In diesem Zusammenhang wird daher nicht nur von der „Gender Health Gap“, sondern auch von der „Gender Data Gap“ gesprochen”, erklärt Dr. Viyan Sido und führt weiter aus: “Wir stehen vor einem jahrelangen Rückstand in der Wissenschaft und Forschung diesbezüglich. Auch Medikamente wurden in der Vergangenheit zu selten an Frauen getestet. In Zukunft wird es allerdings nicht nur wichtig sein, das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht in der wissenschaftlichen Medizin zu berücksichtigen.”



Medical Gaslighting als Folge des Gender Health Gap


Denn nicht nur körperliche Unterschiede und eine Datenlücke in der Forschung führen zu Fehlern in der Diagnose von Krankheiten und ihren Behandlungsplänen, auch Voreingenommenheit von Ärzt*innen aufgrund des Geschlechts spielen in die Gender Health Gap. Frauen gelten als emotionaler, weshalb es passieren kann, dass Beschwerden auf die psychische Verfassung der Patientin geschoben oder gar nicht ernst genommen werden. Das Herunterspielen von Symptomen durch behandelnde Ärzt*innen bezeichnet man auch als Medical Gaslighting. Ein Phänomen, von dem insbesondere Frauen, nicht-binäre Personen, mehrgewichtige Menschen und People of Color betroffen sind. Also Menschen, die im Alltag Diskriminierung erfahren. Diskriminierung, die auch vor einem Behandlungszimmer nicht haltmacht.



Frauenkrankheiten waren die längste Zeit ein Blind Spot


Medical Gesalighting und der Gender Health Gap stellen deshalb auch in der Frauenmedizin ein großes Problem dar, weil “Frauenkrankheiten” bisher kaum Priorität in der Forschung hatten. Auch in der Medizin saßen und sitzen bis heute eben zum Großteil Männer in Entscheidungspositionen. Krankheiten wie Endometriose, die als zweithäufigste gynäkologische Erkrankung gilt, werden daher in der Regel erst sehr spät erkannt. Trotz eines enormen Leidensdrucks müssen Patientinnen in der Regel Jahre auf eine korrekte Diagnose warten. Auch das polyzystische Ovarialsyndrom, kurz PCOS, bleibt oft unerkannt und unbehandelt, obwohl die Hormonstörung bei zirka fünf bis zehn Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter auftritt und eine häufige Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch ist. Darüber hinaus wurde erst im Jahr 2000 das prämenstruelle Syndrom, kurz PMS, als eigenständige Krankheit eingetragen, obwohl 90 Prozent aller Menstruierenden daran leiden. Die Ursache für die prämenstruelle dysphorische Störungen, kurz PMDS, die vor der Menstruation zu depressiven Verstimmungen, Reizbarkeit, Aggressivität und Erschöpfung führt und oft als bipolare Störung fehldiagnostiziert wird, wurde erst in diesem Jahr gefunden.


Doch selbst bei Erkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs, die vergleichsweise gut erforscht und früh erkannt gut behandelbar sind, zeigt sich, dass die Wissenslücke bei Eltern nach wie vor groß ist. Gebärmutterhalskrebs wird durch humane Papillomviren, kurz HPV, verursacht, ein Virus, das durch Geschlechtsverkehr übertragen wird. Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, gibt es seit 2007 eine Impfempfehlung für Mädchen. Diese Impfung deckt die häufigsten Erreger bei 80% aller Krebsarten des Gebärmutterhalses ab. Seit 2018 gibt es die Impfempfehlung jedoch erst für Jungs, wodurch die Impfquote hier nach wie vor gering ist. Dabei können sie nicht nur potenzielle Partner*innen anstecken, sie können selbst durch

humane Papillomviren an Krebsarten im Mund- und Rachenraum sowie an Analkrebs

erkranken. Eine Studie des IGES Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für

Gesundheit hat herausgefunden, dass der Grund für das mangelnde Wissen um die Impfungin einer allgemein zu geringen medizinischen Aufklärung liegt.

Deshalb arbeitet FRAUEN100 im Jahr 2023 mit der Initiative Entschieden. Gegen Krebs. zusammen, um gemeinsam für mehr Aufklärung zu sorgen.



So lässt sich die Gender Health Gap schließen


Die gute Nachricht ist, dass das Bewusstsein für das Versorgungsungleichgewicht zwischen den Geschlechtern laut Dr. Viyan Sido wächst: “In der Medizin und in der Politik zeigt sich eine Wende. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht vor, dass Gendermedizin in den kommenden Jahren als Fach in Pflege- und Gesundheitsberufen und auch im Medizinstudium landesweit eingeführt werden soll. Ziel ist es, angehende Ärzt*innen noch mehr in den geschlechtersensiblen Unterschieden zu schulen. Und auch die Medizin versucht immer mehr Frauen in den Fokus von Wissenschaft und Forschung zu rücken, das ist und bleibt wichtig.”


Darüber hinaus wächst die Health- und FemTec-Branche. Letztere wird vor allem von

Frauen angetrieben, die selbst unter der Gender Health Gap leiden. Sie revolutionieren durch innovative Produkte Stück für Stück den Frauengesundheitssektor und schaffen ein öffentliches Bewusstsein für das medizinische Ungleichgewicht. In ihren oftmals großen Communities klären sie zudem über Missstände auf und bieten Raum für Austausch. Dort findet man nicht nur Trost, durch das Wissen, dass man mit seinen Erfahrungen nicht alleine ist, man kann durch seine Stimme und Unterstützung auch den Druck auf das Gesundheitssystem erhöhen, und zwar so lange bis die Gender Health Gap irgendwann geschlossen ist.


#genderhealthgap #genderdatagap


von Sarah Thiele


Erfahre noch mehr auf der Website von Entschieden.Gegen Krebs.