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Istanbul-Konvention – was ist das eigentlich?

27. November 2025

Gewalt gegen Frauen gehört zu den am häufigsten übersehenen Menschenrechtsverletzungen in Europa. Um dieser Realität entschieden entgegenzutreten, haben die Mitgliedstaaten des Europarats ein internationales Abkommen geschaffen, das weltweit als wegweisend gilt: die sogenannte Istanbul-Konvention. Ihr offizieller Titel lautet: „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“.


Doch was verbirgt sich überhaupt dahinter? Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, der 2011 in Istanbul verabschiedet (daher der Name) und 2014 in Kraft gesetzt wurde. Ihr Ziel: Frauen und Mädchen umfassend vor Gewalt zu schützen – physisch, psychisch, wirtschaftlich und digital. Dazu zählen auch Stalking, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und weitere Formen geschlechtsbezogener Gewalt. Deutschland ist seit 2018 Vertragsstaat.


Die vier Säulen der Istanbul-Konvention
  • Prävention – gesellschaftliche Aufklärung, Bildung und Abbau von Geschlechterstereotypen.

  • Schutz – niedrigschwellige Hilfsangebote, Frauenhäuser, Notrufnummern, Beratung.

  • Strafverfolgung – konsequente Ahndung von Gewalt, geschulte Ermittlungsbehörden, Opferschutz.

  • Umfassende Politik – nationale Strategien, ausreichend Ressourcen, systematische Datenerhebung.


Die Realität in Deutschland – Mangel an Frauenhausplätzen

Die Istanbul-Konvention verpflichtet Vertragsstaaten zu einem ausreichenden Netz an Schutzunterkünften. Empfohlen wird: ein Frauenhausplatz pro 10.000 Einwohner. Deutschland liegt jedoch deutlich darunter. Je nach Bundesland fehlen teils hunderte Plätze, und viele Einrichtungen arbeiten dauerhaft an der Belastungsgrenze. Frauenhäuser müssen regelmäßig schutzsuchende Frauen abweisen – nicht, weil der Bedarf nicht da wäre, sondern weil die Kapazitäten fehlen.

Hinzu kommen strukturelle Probleme:

  • Frauenhäuser sind häufig unterfinanziert und müssen jährlich um Gelder kämpfen.

  • Es fehlt an bundesweiten Standards, was Zugang, Ausstattung und Finanzierung betrifft.

  • Frauen mit Behinderungen oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben es besonders schwer, Schutz zu finden.

Mehr dazu lest ihr hier: https://www.frauen100.com/journal/frauenhaus-erklaert


Anspruch und Wirklichkeit

Ein weiterer struktureller Engpass liegt in der föderalen Organisation. Die Zuständigkeiten sind auf Bund, Länder und Kommunen verteilt, ohne dass eine verbindliche nationale Gesamtstrategie existiert. Dadurch entstehen erhebliche regionale Unterschiede: Während einige Städte gut ausgebaute Beratungs- und Schutzangebote haben, fehlen diese in anderen Regionen nahezu vollständig. Die Folge ist ein Flickenteppich aus Zuständigkeiten, der Betroffenen den Zugang zu Schutz und Hilfe unnötig erschwert.


Auch in der Strafverfolgung bleibt die Umsetzung hinter den Anforderungen zurück. Viele Betroffene erleben, dass Anzeigen wegen häuslicher oder sexualisierter Gewalt eingestellt werden oder dass Verfahren sich über Monate hinziehen. Schulungen für Polizei und Justiz sind nicht flächendeckend etabliert, und die konsequente Verfolgung von Gewalttaten hängt oft vom Engagement einzelner Akteurinnen und Akteure ab. Gleichzeitig sind Präventionsprogramme häufig projektbasiert, zeitlich begrenzt und regional nicht einheitlich verfügbar – obwohl die Konvention eine langfristige, systematische Präventionsarbeit fordert.


Wo steht Deutschland? Ein kritischer Blick

Deutschland hat die Istanbul-Konvention zwar unterschrieben, erfüllt ihre Anforderungen jedoch nur unzureichend. In zentralen Bereichen – Schutz, Finanzierung, Verfügbarkeit von Hilfsangeboten – bestehen gravierende Lücken. Expertinnen und Fachorganisationen weisen seit Jahren darauf hin: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine deutliche Lücke.


Warum die Istanbul-Konvention dennoch unverzichtbar bleibt

Trotz der deutlichen Defizite in der Umsetzung bleibt die Istanbul-Konvention ein historisch bedeutendes Abkommen. Sie schafft erstmals einen klaren, überprüfbaren Rahmen, der Staaten dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen nicht nur zu verurteilen, sondern strukturell zu bekämpfen. Die regelmäßige Überprüfung durch das unabhängige GREVIO-Expertengremium sorgt dafür, dass Missstände sichtbar werden und Regierungen in die Verantwortung genommen werden.


Text von Rebecca Stringa

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