FRAUEN100 x ntv – Ohne Frauen kein Aufschwung
5. Dezember 2025

Es gehört zu den irritierendsten Widersprüchen unserer Zeit: Wir sprechen im Jahr 2025 immer noch über die Teilzeitfalle, die Gender Pay Gap und das Ehegattensplitting – und gleichzeitig wundern wir uns, warum Wirtschaftskraft, Innovationsdynamik und Produktivität stagnieren. Der ntv-Talk „Ohne Frauen kein Aufschwung“, produziert in Kooperation mit FRAUEN100, hat genau diesen Widerspruch in den Mittelpunkt gestellt – und gezeigt, wie eng Gleichberechtigung und wirtschaftliche Renaissance miteinander verwoben sind.
Die Premiere im Hauptstadtstudio Berlin war mehr als ein klassisches Talkformat: 80 geladene Gäste sahen eine Diskussion, die nicht nur Fakten sortierte, sondern auch Stimmungen spiegelte, Perspektiven aufriss und politische wie ökonomische Hebel klar benannte. Moderiert wurde die Sendung von Clara Pfeffer. Zu Gast: Bärbel Bas, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bettina Orlopp, CEO der Commerzbank, und Verena Pausder, Unternehmerin und Vorstandsvorsitzende, Startup-Verband. Drei Frauen, drei unterschiedliche Systeme – Politik, Corporate, Start-up – und doch ein gemeinsamer Nenner: der dringende Appell, Frauen endlich als wirtschaftliche Schlüsselressource zu begreifen.
Strukturen, die Chancen verhindern
Schon in den ersten Minuten wurde klar, wie sehr veraltete Modelle das Land bremsen. Bärbel Bas brachte es unmissverständlich auf den Punkt: „Wir sind immer noch zu fixiert auf dieses männliche Vollzeitmodell – und darauf sind viele Gesetze abgestimmt.“ Ehegattensplitting, Minijob-Regelungen, steuerliche Fehlanreize, unzuverlässige Kinderbetreuung – all das schafft Realitäten, die Frauen systematisch in Teilzeit oder im Niedriglohnbereich festhalten. Die sogenannte „Teilzeitfalle“ ist kein individuelles Problem, sondern eine strukturelle Fehlkonstruktion. Die wirtschaftlichen Folgen sind gigantisch. Bas machte anschaulich, wie gravierend die Einkommenslücke am Ende eines Berufslebens wirkt: „16 Prozent Gender Pay Gap klingen klein – aber das macht über ein Erwerbsleben 670.000 Euro Unterschied.“
Diese Summe steht nicht nur für weniger Rente, weniger Autonomie und weniger finanzielle Sicherheit, sie steht auch für Milliarden an Kaufkraft und Wertschöpfung, die dem Land entgehen. Deutschland redet über Arbeits- und Fachkräftemangel – und gleichzeitig arbeitet fast die Hälfte der Frauen in Teilzeit, häufig unfreiwillig. Es sind keine individuellen Entscheidungen, wie Bas betonte, sondern politische Rahmenbedingungen, die diese Realitäten prägen: „Wir brauchen andere Modelle, echte Wahlfreiheit – und Rahmenbedingungen, die endlich in unsere Zeit passen.“
Führung verändert Wirtschaft – wenn Frauen sie mitgestalten dürfen
Bettina Orlopp, eine der wenigen Frauen an der Spitze eines DAX-Konzerns, sprach offen über den Kulturwandel, den Unternehmen leisten müssen – und was passiert, wenn sie es tun. Sie widersprach entschieden der Vorstellung, das Problem ließe sich auf einzelne Symbole reduzieren, etwa das viel diskutierte „Männerfoto“ einer Wirtschaftsrunde. Entscheidend sei, sagte sie, nicht das Bild, sondern die Strukturen. Besonders deutlich wurde sie bei der Frage, wie Frauen ihre Karrierewege wahrnehmen – und welche Anforderung an sie wie an Arbeitgeber besteht: „Es hilft nichts, nur zu meckern. Wir müssen Gelegenheiten schaffen – und Frauen müssen sie annehmen.“
Diese Offenheit prägte viele Momente des Talks: Frauen scheitern selten an fehlender Kompetenz, sondern oft an überhöhten Anforderungen an sich selbst. Pausder schloss an Orlopps Punkte an und sprach von einer ganz typischen Haltung, die sich beobachten lasse: Frauen „verhandeln vor“, überlegen zu früh, was alles nicht möglich sein könnte – und lehnen Chancen ab, bevor sie sie überhaupt ausprobieren. Das Bild, das Orlopp und Pausder zeichneten, war eindeutig: Gleichstellung ist kein moralisches Projekt – es ist ein Produktivitätsprojekt.
Gründerinnen – der unterschätzte Wirtschaftsmotor
Einen der stärksten Momente des Abends setzte Verena Pausder. Mit einer Mischung aus ökonomischer Klarheit und gesellschaftlichem Weitblick stellte sie die Familienpolitik auf den Kopf: „Warum denken wir Elterngeld nicht als Finanzierung für Kinderbetreuung – statt als Anreiz, zu Hause zu bleiben?“ Ihr Vorschlag: Eltern sollen Elterngeld nutzen dürfen, um Betreuungsstrukturen im ersten Jahr aufzubauen – ein Modell, das vor allem Gründerinnen zugutekäme.
Denn die Realität ist: Nur 20 Prozent der Gründenden sind weiblich. Nur zwei Prozent des Venture Capitals geht an Frauen. Und die Phase, in der viele Frauen gründen wollen würden, fällt zeitlich mit der Familiengründung zusammen – während das System ihnen keinerlei Sicherheit bietet. Pausders Analysen gingen noch weiter. Sie führte aus, dass Deutschland historisch immer dann besonders stark war, wenn es in Krisen in Innovation investierte – während wir heute mit nur 0,16 Prozent des BIP für Innovationen weit hinter früheren Jahrzehnten zurückliegen. Und sie verband diesen Befund direkt mit der Frage nach weiblichem Unternehmertum. Ihre Botschaft war glasklar: Wer Frauen gründungsfähig macht, stärkt die Volkswirtschaft – nicht nur die Start-up-Szene.
Ein Abend, der Haltung sichtbar machte
Dass die Diskussion in einem politischen Moment stattfand, der von Krisenrhetorik und Polarisierung geprägt ist, verlieh ihr zusätzliche Bedeutung. Bärbel Bas ließ tief blicken, als sie über die verbalen Angriffe der vergangenen Wochen sprach: „Es war eine angespannte Atmosphäre. Und am Ende hat es mich gekränkt, weil ich über Menschen sprach, die wenig haben.“ Es war ein seltener, fast persönlicher Einblick in die Belastungen politischer Debatten – und gleichzeitig ein Hinweis darauf, warum Formate wie dieses so dringend gebraucht werden: Orte, an denen in Ruhe, mit Fakten und jenseits von Schlagzeilen gesprochen werden kann. Pausder wiederum zeigte, wie gefährlich die aktuelle Stimmung für den Wirtschaftsstandort ist: Wenn die Politik dauerhaft im Streitmodus verharrt, schwinde bei vielen der Glaube, dass Veränderung überhaupt möglich sei. Und ohne Zuversicht – so ihr Fazit – gründe niemand, investiere niemand, riskiere niemand.
Ein Format, das bleibt
Der Abend im Hauptstadtstudio war ein eindrucksvoller Start für den neuen ntv-Talk in Kooperation mit FRAUEN100. Er zeigte, wie viel Potenzial eine Debatte entfalten kann, wenn Frauen mit Expertise, Macht und Mut zusammenkommen – und nicht über, sondern mit ihnen gesprochen wird.
Er zeigte aber auch, wie viel Arbeit vor uns liegt. Denn die Fragen, die an diesem Abend gestellt wurden, sind keine Nischenthemen: Sie entscheiden darüber, ob Deutschland wirtschaftlich wächst oder stagniert, ob Innovation entsteht oder versandet, ob Zukunft gestaltet oder verwaltet wird. Der Talk hat eines deutlich gemacht: Ohne Frauen gibt es keinen Aufschwung. Und ohne strukturelle Veränderungen auch nicht.
Wer den Talk nachträglich noch sehen möchte, findet ihn auf dem Youtube-Kanal von ntv.
Zum Abschluss möchten wir neben ntv auch unserem Partner ING Deutschland danken. Ohne diese starke Unterstützung wäre eine TV-Produktion dieses Umfangs und dieser Qualität nicht möglich gewesen.
Text von Rebecca Stringa






















































