„Die Deutschen arbeiten zu wenig“
14. Juni 2025

1343 Stunden. So viel hat der*die durchschnittliche Deutsche im Jahr 2023 laut OECD gearbeitet – weniger als in jedem anderen der 38 Mitgliedsstaaten. Ein Skandal? Eine Errungenschaft? Oder einfach ein Fakt, der vor allem eines zeigt: Arbeit wird in Deutschland längst nicht gerecht verteilt. Und nein, liebe Politik, das liegt nicht daran, dass Mütter sich zu sehr in Teilzeit verstecken oder alle auf ihre „Work-Life-Balance“ schielen. Friedrich Merz sorgte kürzlich mit folgender Aussage für mediales Aufsehen: „Die Deutschen arbeiten zu wenig“. Dann ruderte der Bundeskanzler zurück – na gut, nicht alle Deutschen. Manche schuften sich schon jetzt kaputt. Aber der Wohlstand, so die Mär, ist in Gefahr, wenn hier nicht bald mehr gearbeitet wird.
Doch bevor der nächste Feiertag gestrichen oder Überstunden steuerfrei gestellt werden, wäre es vielleicht an der Zeit, die wirklich naheliegende Lösung in den Blick zu nehmen. Die steht nicht auf dem Baugerüst, sondern bringt unter anderem morgens das Kind zur Kita und hetzt danach ins Büro. Genau: Frauen. Die arbeiten nämlich gar nicht zu wenig. Sie arbeiten nur oft unbezahlt. Zu Hause. Beim Kinderbetreuen. Beim Pflegen. Beim Unsichtbar-Machen der eigenen Bedürfnisse.
Die Deutschen arbeiten zu wenig? Oder warum Care-Arbeit weiterhin unsichtbar bleibt
Statt Feiertage abzuschaffen – eine ziemlich schlechte Idee für ein Land mit rekordverdächtiger Burnout-Quote – oder Teilzeitrechte zu streichen, könnte man beginnen, die Realität anzuerkennen: Wer hier von „zu wenig Arbeit“ spricht, blendet aus, wer diese Gesellschaft am Laufen hält. Und wie. 70 Prozent der Teilzeitkräfte in Deutschland? Frauen. Warum? Weil Betreuungsangebote fehlen. Weil Schulen am Nachmittag zum Abenteuer werden. Weil das Modell „Papa Vollzeit, Mama halbtags“ immer noch wie aus dem Bilderbuch der 1950er gegriffen wird. Das „SZ Magazin“ hat es hier schön auf den Punkt gebracht: „Aber wo ist denn die große Kanzlerrede, die nicht nur flapsig Müttern mehr Arbeitsstunden für das Bruttosozialprodukt abnötigt, sondern auch Vätern mehr Verantwortung im Privaten?“ Stattdessen wird weiterhin das Märchen erzählt, mit ein bisschen mehr Präsenz im Büro könne der Wohlstand gesichert werden.
Denkt die deutsche Politik zu eindimensional?
Dabei liegt die Lösung auf der Hand und wurde sogar von Ökonomen längst identifiziert: Wenn Frauen so viel arbeiten könnten, wie sie wollten, hätten wir den Fachkräftemangel halbiert. 840.000 Vollzeitstellen gehen jedes Jahr flöten, weil Frauen in Teilzeit hängen – nicht, weil sie es lieben, mittags den Herd anzuschmeißen, sondern weil es oft gar nicht anders geht. Statt steuerfreie Überstunden zu fordern (schöne Idee, wenn man eh schon an der Belastungsgrenze ist), wäre es also mal Zeit für mehr Kitas, Ganztagsschulen, flexible Arbeitszeitmodelle. Ach ja: Und für einen kulturellen Wandel, der nicht nur Väter mit Applaus überhäuft.
Wohlstand durch Teilhabe statt durch Zwang
„Die Deutschen arbeiten zu wenig“ – das klingt so herrlich einfach. Aber die Realität ist komplexer. Wohlstand wird nicht dadurch gesichert, dass Frauen ihre Care-Arbeit ins Büro schleppen und dort auch noch Überstunden schrubben. Wohlstand entsteht, wenn alle ihr Potenzial entfalten können. Wenn Arbeit gerecht verteilt wird. Wenn endlich verstanden wird: Das Problem ist nicht Teilzeit. Das Problem ist das System, das Frauen in Teilzeit drängt. Wenn also das nächste Mal über zu wenig Arbeit debattiert wird, könnte die Lösung ganz einfach lauten: Lasst Frauen arbeiten – richtig. Schafft die Strukturen, die das ermöglichen. Und hört auf, Schuldzuweisungen zu verteilen. Das wäre ein echter Wohlstands-Booster.
Und die Sache mit dem „normalen Wohneigentum“? Vielleicht erst mal dafür sorgen, dass Frauen ein normales Gehalt verdienen können, bevor das Einfamilienhaus Pflicht wird.
Darum stellt FRAUEN100 klare Forderungen
Weil es längst überfällig ist. Frauen tragen diese Gesellschaft – sichtbar und unsichtbar. Doch ihr Beitrag wird nach wie vor kleingeredet, übersehen oder in endlosen Sonntagsreden vertröstet. Wer immer noch glaubt, die Deutschen arbeiten zu wenig, sollte dringend die Perspektive wechseln: Nicht Frauen müssen mehr arbeiten, sondern Politik und Wirtschaft müssen endlich ermöglichen, dass sie ihr volles Potenzial entfalten können – ohne strukturelle Bremsklötze. Deshalb fordern wir: Schluss mit Lippenbekenntnissen, her mit echten Reformen! Die acht konkreten Empfehlungen, die FRAUEN100 auf den Tisch legt, zeigen den Weg:
Steuerliche Reformen – das Ehegattensplitting reformieren und Steuerklasse V abschaffen.
Lohngerechtigkeit – verbindliche Lohntransparenz und klare Kriterien für gleiche Bezahlung.
Flächendeckende Kinderbetreuung – von der Kita bis zur Ganztagsschule, qualitativ hochwertig und bezahlbar.
Mehr Frauen in Führung – durch verbindliche Zielquoten in Wirtschaft und Verwaltung.
Faire Bewertung von Sorgearbeit – endlich gesellschaftlich anerkennen und absichern
Flexible Arbeitsmodelle – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen.
Bessere Absicherung in der Altersvorsorge – für alle Erwerbs- und Sorgephasen.
Förderung weiblicher Gründungen und Innovationen – mit gezielten Programmen und Finanzierungsmöglichkeiten.
Mehr zur Forderung und der Petition findet man hier.
Text von Rebecca Stringa.