Orange Day – warum wir einen Tag gegen Gewalt an Frauen dringender brauchen als je zuvor
25. November 2025

Am 25. November färben sich Rathäuser, Brücken, Firmensitze, Parlamente und Wahrzeichen weltweit orange. Der Orange Day, initiiert von den Vereinten Nationen, soll ein sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen setzen. Er ist Teil der internationalen Kampagne „16 Days of Activism against Gender-Based Violence“. Doch jenseits der orange erleuchteten Fassaden bleibt eine unbequeme Wahrheit: Die tatsächliche Lage ist düsterer als alles, was ein symbolischer Aktionstag ausdrücken kann. Deutschland erlebt laut der neuen Statistik des Bundeskriminalamt im Jahr 2024 einen neuen Höchststand an häuslicher Gewalt – und dennoch bildet diese Zahl nur einen Bruchteil der Realität ab.
Warum ausgerechnet Orange?
Orange ist keine zufällige Wahl, sondern ein bewusst gesetztes politisches Symbol. Die Vereinten Nationen entschieden sich für diese Farbe, weil sie Hoffnung, Sichtbarkeit und die Vision einer gewaltfreien Zukunft ausdrückt. In einer Welt, in der Gewalt gegen Frauen häufig im Verborgenen stattfindet, sendet Orange ein helles Gegensignal. Im Unterschied zu Rot, das Gefahr signalisiert, oder Lila, das tief in der Frauenbewegung verwurzelt ist, steht Orange für einen positiven Ausblick: die Vorstellung einer Gesellschaft, in der Frauen frei von Gewalt leben können. Damit ist Orange nicht nur eine Farbe, sondern ein Versprechen – eines, das wir als Gesellschaft bisher nicht eingelöst haben.
Ein Höchststand, der nur die Spitze zeigt – das Hell- und Dunkelfeld
Die aktuellen Zahlen verdeutlichen die Dringlichkeit dieses Versprechens. 265.942 Menschen wurden 2024 Opfer häuslicher Gewalt – so viele wie nie zuvor. 70,4 Prozent davon sind Frauen. Doch bekannt ist, dass häusliche Gewalt selten angezeigt wird und oft „hinter verschlossenen Türen“ geschieht. Die Dunkelfeldforschung zeigt, dass bei Partnerschaftsgewalt weniger als fünf Prozent der Taten zur Anzeige gebracht werden. Was wir sehen, ist nur der sichtbare Teil eines massiven gesellschaftlichen Problems.
Die tödliche Realität von Partnerschaftsgewalt
171.069 Menschen wurden 2024 Opfer von Partnerschaftsgewalt – ein erneuter Anstieg, der vor allem Frauen betrifft. Rund 80 Prozent der Opfer sind weiblich, während fast vier von fünf Tatverdächtigen Männer sind. Besonders erschütternd ist die Zahl der Tötungsdelikte: 132 Frauen wurden im vergangenen Jahr durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Das entspricht einem Femizid alle drei Tage. Es handelt sich dabei nicht um private Konflikte, sondern um strukturelle, geschlechtsspezifische Gewalt mit tödlichen Konsequenzen.
Auch die innerfamiliäre Gewalt zeigt ein bedrückendes Bild. 94.873 Menschen waren 2024 betroffen, darunter besonders viele Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren. Körperverletzung ist das häufigste Delikt. 130 Menschen wurden im innerfamiliären Kontext getötet. Gewalt innerhalb der Familie ist kein Randthema, sondern ein gesamtgesellschaftliches Risiko, das Generationen prägt, Trauma vererbt und gesellschaftliche Stabilität unterhöhlt.
Digitale Gewalt – der neue Tatort
Zunehmend verlagert sich Gewalt in den digitalen Raum. Die Fälle digitaler Gewalt stiegen sowohl in Partnerschaften als auch in Familien deutlich an. Digitale Gewalt umfasst Stalking, Überwachung, Erpressung oder Diffamierung – Formen, die oft unsichtbar bleiben, aber psychisch genauso zerstörerisch sein können wie körperliche Übergriffe. Digitalisierung eröffnet Täterinnen und Tätern neue Räume, während Betroffene mit neuen Formen der Kontrolle und Ohnmacht konfrontiert sind.
Warum der Orange Day politisch unverzichtbar ist
Der Orange Day erzeugt Sichtbarkeit – und Sichtbarkeit erzeugt politischen Druck. Die Statistik zeigt nicht nur individuelle Schicksale, sondern strukturelle Versäumnisse: zu wenige Frauenhausplätze, überlastete Beratungsstellen, zu langsame Verfahren, mangelnde gesetzliche Grundlagen für digitale Gewalt und eine unzureichende Umsetzung der Istanbul-Konvention. Solange diese Lücken bestehen, ist Orange nicht nur ein Hoffnungssignal, sondern ein Mahnmal. Häusliche Gewalt ist keine private Angelegenheit und kein isoliertes Frauenproblem – sie ist ein strukturelles Risiko für die gesamte Gesellschaft. Ihre Auswirkungen reichen von gesundheitlichen Schäden und Traumatisierungen über Bildungsabbrüche bis hin zu enormen volkswirtschaftlichen Kosten. Jede Form der Gewalt untergräbt gesellschaftlichen Zusammenhalt, schwächt demokratische Strukturen und beschädigt über Generationen hinweg das Vertrauen in staatliche Schutzmechanismen.
Was jetzt passieren muss
Bundesweit ausreichend Frauenhausplätze
Verbindliche und langfristige Finanzierung statt projektbasierter Unsicherheit
Stärkere Bekämpfung digitaler Gewalt, auch gesetzlich
Konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention
Verpflichtende Täterprogramme
Regelmäßige Dunkelfeldstudien als politische Entscheidungsgrundlage
Prävention ab der Grundschule
Solange Frauen und Kinder in ihren eigenen vier Wänden nicht sicher sind, solange Gewalt verharmlost oder als private Angelegenheit abgetan wird und solange Täterprofile sich Jahr für Jahr gleichen, bleibt der Orange Day nicht nur notwendig, sondern überlebenswichtig. Orange leuchtet, damit wir nicht wegschauen. Und es mahnt, damit wir endlich handeln.
Text von Rebecca Stringa




