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FRAUEN100 x ECONOMY: Armut ist weiblich – und das darf uns nicht egal sein

25. Juli 2025

Berlin, SOHO House, kurz nach 19 Uhr: Die ersten Gläser klirren und rund 70 Gäste schauen dem Programm des Abends erwartungsvoll entgegen. Das Thema ist schwer, aber nicht verhandelbar: Altersarmut. Und die bittere Wahrheit ist, dass sie vor allem Frauen trifft. Moderatorin Clara Pfeffer eröffnete das FRAUEN100 x ECONOMY-Event mit einem Satz, der wie ein Leitmotiv wirkte: „Wir reden viel zu selten über Geld – und wenn wir es tun, meist zu spät.“ Dass das nicht nur ein gesellschaftliches Problem, sondern auch ein strukturelles Versagen ist, zog sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche des Abends.


Ein System, das Frauen arm hält


Die Zahlen, die der GDV in einer Prognos-Studie herausfand, sind erschütternd und zugleich kaum präsent im öffentlichen Bewusstsein: Männer erhalten in Deutschland durchschnittlich 52 Prozent mehr gesetzliche Rente als Frauen – was man auch als Gender-Pension-Gap bezeichnet. Eine weitere Studie zeigt, dass Männer im Ruhestand auf rund 1.427 Euro kommen, während Frauen mit 936 Euro auskommen müssen. „Die Hälfte aller Frauen arbeitet in Deutschland in Teilzeit. Und so kommt es logischerweise zur Gender Pension Gap von unglaublichen 52 Prozent. Schuld daran sind die immer noch vorherrschenden Geschlechterstereotype“, erklärte Laura Müller, Vorstandsmitglied der Debeka, in ihrem Impuls.


Natascha Wegelin, auch bekannt als Madame Moneypenny, legte den Finger in die Wunde und zeichnete ein Bild, das von systemischen Hürden geprägt ist: „Die Gender Pension Gap steht am Ende, als Resultat, einer ganzen Reihe misogyner Missstände in unserem System.“ Vom Care Gap über den Pay Gap bis hin zum Ehegattensplitting – Frauen verlieren an jeder Weggabelung. „Das Einkommen der Frau wird durch die Steuerlast wegrationalisiert, während gleichzeitig die Steuerlast des Mannes sinkt. Männer profitieren also doppelt vom Ehegattensplitting.“ Wegelin sprach von Ungerechtigkeiten im deutschen Steuersystem, die Frauen nicht nur belasten, sondern faktisch bestrafen: „Der Weg zur Arbeit ist steuerlich absetzbar, der Weg zur Kita nicht. Und wie kann es eigentlich sein, dass eine alleinerziehende Person – meist Frauen – teilweise 40 Prozent mehr Steuern zahlt als ein verheiratetes Ehepaar mit genau dem gleichen Einkommen?“ Sie zeichnete die Verbindungslinien zwischen den Lücken: Financial Literacy Gap, Investment Gap, Funding Gap, Credit Gap. Die Botschaft war klar: „Frauen erhalten nur einen Bruchteil des verfügbaren Risikokapitals. Der Anteil rein weiblich gegründeter Start-ups am gesamten Investitionsvolumen ist 2024 auf ein Prozent geschrumpft.“ All diese Gaps summieren sich zur Gender Lifetime Earnings Gap: Männer verdienen im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 1,5 Millionen Euro, Frauen 830.000 Euro – eine Differenz von 670.000 Euro. „Altersarmut ist weiblich“, so Wegelin, „weil unser patriarchales Steuer- und Gesellschaftssystem Frauen finanziell abhängig und arm hält.“


Altersvorsorge als Akt der Selbstliebe


Das erste Panel, moderiert von Frauke Holzmeier, mit Regina Halmich, Saskia Schlemmer und Hava Misimi brachte persönliche Perspektiven ins Spiel. Die ehemalige Boxweltmeisterin Halmich forderte ein neues Verhältnis zu Geld: „Man muss sich früh um seine Finanzen kümmern – am besten mit 20 oder 25 Jahren, besonders als Selbstständige. Finanzen sind meistens so unangenehm, weil man sie nicht so gut versteht, aber hier muss man wirklich in den sauren Apfel beißen. Altersvorsorge und Verantwortung für die eigene finanzielle Lage zu übernehmen ist auch ein Teil von Selbstliebe.“


Saskia Schlemmer, bekannt als Die Scheidungsanwältin, betonte die Notwendigkeit klarer Absprachen: „Liebe und Finanzen können nicht getrennt werden. Wir müssen schon im Vorhinein kommunizieren, was wir wollen und was wir brauchen. Durch strukturelle Veränderungen und individuelle Vorsorge kann Altersvorsorge auch für Frauen Sicherheit und Freiheit bedeuten – und diese Freiheit müssen wir einfordern.“

Für Hava Misimi, Gründerin von Femance Finanzen, führt an einer Reform des Systems kein Weg vorbei: „Wir müssen uns das Rentensystem erneut genauer anschauen und von Grund auf verändern – sei es durch Aktienrente oder andere Instrumente.“


„Wir finanzieren steuerlich die Ungleichheit“


Ricarda Lang, Tim Klüssendorf und Aldona Niemczyk diskutierten unter der Moderation von Clara Pfeffer im darauffolgenden Panel darüber, welche politischen Stellschrauben endlich bewegt werden müssen, um die Gender Pension Gap zu schließen. Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, brachte gleich zu Beginn einen unbequemen Punkt auf den Tisch: „Wir finanzieren steuerlich die Ungleichheit. Und setzen somit einen Anreiz dafür, dass Ehepaare weniger Interesse daran haben, dass Frauen mehr arbeiten gehen, raus aus der Teilzeit kommen, besser verdienen und bessere Gehälter bekommen.“ Besonders kritisch sieht sie die Mütterrente: „Die Mütterrente ist gut gemeint, aber die monatlichen 20 Euro mehr sorgen weder für finanzielle Unabhängigkeit noch für mehr Freiheit der Frauen. Im Gegenteil: Meiner Ansicht nach werden bestehende Ungleichheiten im Rentensystem so nur weiter verstärkt.“

Tim Klüssendorf, Generalsekretär der SPD, stimmte zu, dass das System veraltet ist – wenn auch mit einem anderen Fokus: „Es würde sich theoretisch für mich lohnen, finanziell zu heiraten. Aber es lohnt sich viel, viel weniger, ein Kind in die Welt zu setzen und eine Familie zu gründen. Und das ist falsch.“ Für ihn muss die Familienförderung ins Zentrum rücken: „Wir müssen weg von steuerlichen Anreizen, die nur den Status quo belohnen, hin zu Regelungen, die echte Vereinbarkeit ermöglichen.“

Aldona Niemczyk, MdB CDU, hielt dagegen – mit einer Perspektive, die das Bestehende nicht verteufelt, sondern als Basis für Verbesserungen sieht: „Ich widerspreche hier. Die Mütterrente ist für mich auch ein Symbol. Sie wertschätzt die Erziehungsleistung von Müttern. Die steuerlichen Regelungen wie Ehegattensplitting und Mütterrente stellen für beide Elternteile eine gleichwertige Chance dar – und am Ende kommt das den Kindern zugute.“

Die Diskussion wurde emotional – gerade weil die unterschiedlichen Positionen deutlich machten, wie komplex die Gerechtigkeitsfrage ist. Einig war man sich immerhin in einem Punkt: Es braucht ein radikales Umdenken, wenn Frauen nicht weiterhin im Alter für strukturelle Defizite bezahlen sollen.


Was vom Abend bleibt


Frustration, Klarheit – und ein Stück Aufbruch. Der Abend war eine schonungslose Bestandsaufnahme, aber auch eine Einladung, Altersvorsorge als feministisches Thema zu denken. Oder, wie es Emilia Roig formulierte: „Wären alle Frauen ähnlich finanziell abgesichert, würden viele sagen, wir brauchen Männer nicht. Vielleicht macht genau das Männern Angst. Die Unterwerfung der Frau beginnt damit, sie wirtschaftlich von den Männern abhängig zu machen.“


Text von Rebecca Stringa.



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