FRAUEN100 x Bits & Pretzels Dinner 2024
2. Oktober 2024
Immer weniger Frauen gründen – im vergangenen Jahr ist die Zahl zum ersten Mal gesunken, von 21% auf 19%. Diese Zahl hat der Start-Up Verband kürzlich veröffentlicht. Sie macht noch einmal mehr klar: Frauen brauchen auch im Bereich Gründung Netzwerke und Role Models.
Genau das war auch das Ziel des FRAUEN100 Dinners am Vorabend der Bits & Pretzels. Im Jahr 2023 wurde 40% weniger in Start-Ups investiert als im Vorjahr, sagt Moderatorin Janna Linke – die Suche nach Zuversicht und langfristigen Strategien in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist Thema des Abends. „Die Stimmung ist schlecht für die Start-Up Branche und die ganze Wirtschaft“, findet Bits & Pretzels Mitgründer Felix Haas, „aber man kann nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir müssen selbst anpacken und jeder für sich überlegen: was kann ich tun, besser machen, welche neuen Wege gehen.“
Wie genau es aussehen kann, die Chance zu sehen und Möglichkeiten zu ergreifen erzählt Janin Ullmann in ihrer bewegenden und persönlichen Rede. Sie ist im Plattenbau groß geworden: „Geld war immer Thema, weil wir es nicht hatten.“ Glaubenssätze wie Über Geld spricht man nicht musste sie erst loswerden: „Das Schweigen hat uns Frauen jahrzehntelang klein gehalten. Lasst uns verdammt nochmal anfangen, über Geld zu reden!“ Erschreckende Zahlen zeigen, was passiert, wenn Frauen sich zu wenig mit ihren Finanzen beschäftigen: So verdienen Frauen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aufs ganze Erwerbsleben gerechnet nur etwas mehr als die Hälfte des Einkommens von Männern. Die Rente einer Frau liegt im Schnitt bei 952 Euro, jede vierte Frau über 80 ist in Altersarmut. Mit ihrem Podcast „Female Finance“ will Janin einen Beitrag leisten, Finanzbildung bei Frauen voranzutreiben. Ihr Appell: „Diese Zahlen machen mich wütend und sie zeigen klar, dass das System nicht für uns arbeitet. Deshalb sollten wir es ändern!“
Die Geschichte von sozialem Aufstieg in Deutschland ist oft ein Märchen – weil sie nur in Ausnahmefällen gelingt. Das macht auch die Erzählung von Soulin Omar klar. Sie musste mit ihrer Familie aus Syrien flüchten und hat es geschafft, nicht nur innerhalb kürzester Zeit deutsch zu lernen und Abitur zu machen, sondern sich nach ihrer Teilnahme bei Germany´s Next Topmodel auch in der Modewelt zu etablieren. „Liebe Damen und Herren, liebe Kauffrauen, liebe Bosses“, beginnt sie ihre Rede, sie wolle heute eine Geschichte erzählen: „über ein kleines Mädchen aus Syrien, das es gewagt hat, groß zu träumen.“ Was sie der Weg von Syrien über die Türkei nach Deutschland in die Modewelt gelehrt hat: „Wie wichtig es ist, eine eigene Stimme zu finden und für sich einzustehen.“ Sie beginnt mit ihrer glücklichen Kindheit in Syrien, als Einserschülerin, die ihr Leben geliebt hat – bis der Krieg ihre Familie wie Millionen andere Menschen gezwungen hat, fortzugehen. Sie erzählt von der Flucht über die Türkei, von der Ankunft in Deutschland, von einer Schule, die sie abgelehnt habe, weil es unmöglich sei in drei Jahren das Abitur zu schaffen, wenn man gerade erst angekommen sei. Ihrer Mutter ist es zu verdanken, dass sie drei Jahre später das Gegenteil beweisen konnte – und mit dem Abitur-Zeugnis in der Hand dastand. Dank ihrem Beruf in der Modeindustrie und ihrer Teilnahme an einer TV-Show hat sie heute die Möglichkeit, vielen jungen Mädchen ein Vorbild zu sein: „Ermutigt euch gegenseitig eure Stimmen zu finden und lasst euch nicht von gesellschaftlichen Normen einschränken! Erfolg ist etwas, das über Ruhm und Reichtum hinausgeht.“ Damit griff sie auch den Schwerpunkt des Sponsors des Abends „Boss“ auf, der es sich zur Mission gemacht hat, dazu zu ermutigen, auch unkonventionelle Karriereentscheidungen zu treffen und den eigenen Ambitionen und Werten zu folgen. Auf diese Weise eine eigene Lebensphilosophie zu finden, bei der man sich sagt: #ItsForLife.
Das abschließende Panel des Abend stand unter dem Motto „Be Your own Boss“. Gründerin von Woman360 und ehemalige Sephora-Deutschland-Chefin Miriam van Loewenfeld erzählte von den wichtigsten Erkenntnissen aus der Recherche für ihr Buch „Perfektion ist Quatsch“: Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei einer der Hauptgründe, warum Deutschland beim Thema weibliche Führungskräfte auch im internationalen Vergleich so schlecht abschneide. „Es gibt hier keine One Size Fits All Lösung“, sagt sie auf die Frage nach Tipps, um das zu verbessern. Ein Ansatz wäre, das Thema ähnlich wie Projektplanung im Job anzugehen und genau aufzuteilen, wer was bis wann zu erledigen habe. Zentral sieht sie aber auch die Lebenseinstellung und zitiert nochmal ihren Buchtitel: Perfektion ist nicht nur nicht machbar, sondern Quatsch: „Superwoman ist die Anti-Heldin der Frauenbewegung!“
Mit auf dem Panel auch Talentrocket Gründerin Magdalena Oehl, die im Vorstand des Start-Up Verbands sitzt. Auch bei Gründungen ist Vereinbarkeit eines der größten Hindernisse, denn die familiäre Hauptlast liegt immer noch bei Frauen: „Wenn Gründerinnen ein Kind bekommen, geht ihre Arbeitszeit sechs bis sieben Stunden nach unten. Bei Gründern ist es nur eine Stunde.“ Ebenfalls gibt es nach wie vor kein Mutterschaftsgeld für Selbstständige und auch die Steuerliche Geltendmachung von Betreuungskosten ist enorm niedrig. 4.000€ kann man aktuell absetzen, lächerlich wenig, wenn man bedenkt, dass bereits die KiTa Gebühren in einer Stadt wie München das doppelte oder mehr betragen können. Auch das Thema Unconscious Bias bei VCs ist ein Faktor, nur 2% der VC-Gelder gehen an Frauen. Männer investieren eben am liebsten in andere Männer.
Microsoft-Managerin Annahita Esmailzadeh hat genau über dieses Thema ein Buch geschrieben: Unbewusste Vorurteile und wie sie Entscheidungen beeinflussen. „Frauen werden gesellschaftlich darauf konditioniert, möglichst wenig anzuecken“, sagt sie und beschreibt eine Reihe von eigenen Erfahrungen als junge Beraterin der Tech-Branche. In einem ihrer ersten Jobs habe man ihr gesagt, die Marketing-Abteilung sei woanders, erzählt sie. Als eine der größten Business-Influencerinnen auf LinkedIn unterstreicht sie auch nochmal die Rolle von Social Media und Personal Branding – ein Thema, das vielen Gründerinnen schwer fällt neben der Gründung zu starten.
„Die Welt gehört den Mutigen“, sagt Moderatorin Janna Linke zum Abschluss des Abends. Ihr Ziel, nämlich Zuversicht zu schaffen, hat der Abend auf jeden Fall erreicht: Mit vielen neuen Impulsen und dem Gefühl, dass die machtvollen Verbindungen von Veranstaltungen wie diesen einen Beitrag leisten, um die Strukturen, die auch in der Start-Up Welt zur Benachteiligung von Frauen beitragen, zu überholen. Denn Systeme lassen sich am besten gemeinsam verändern.
Text von Miriam Trunk
Vielen Dank an all unsere Partner*innen für die Zusammenarbeit und Unterstützung!