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#SkinnyTok – welche Auswirkungen Social Media auf das weibliche Körperbild hat

4. August 2025

Krisenzeiten sind Kontrollzeiten. Während die Welt sich gefühlt im Dauerkrisenmodus befindet, scheint die Kontrolle über den eigenen Körper für viele der letzte „Ausweg" zu sein. Das Resultat? Schlanksein ist zurück – mit aller Macht. Auf TikTok teilen viele junge Frauen (und auch Männer) Tipps, wie man noch dünner wird. Und das, obwohl wir doch dachten, dass Body Positivity sich endlich durchgesetzt hatte. 


„Auf den Laufstegen sehen wir immer weniger Vielfalt, der Schönheitsdruck steigt, und Essstörungen nehmen zu“, bestätigt Dr. Elisabeth Lechner im Interview mit der BRIGITTE. Die Kulturwissenschaftlerin forscht seit Jahren zu Körperbildern und weiß: Während Frauen einem immer schmaleren Ideal hinterherjagen sollen, gilt bei Männern das Gegenteil – hier heißt das Gebot: Muskeln, Muskeln, Muskeln.


War Body Positivity nur ein Instagram-Hype?

Nein – zumindest nicht in seiner ursprünglichen Form. Die Wurzeln der Body-Positivity-Bewegung liegen in den radikalen Kämpfen der 1960er- und 1970er-Jahre in den USA. Damals ging es nicht um #selflove-Sprüche auf Pastellhintergrund, sondern um knallharte Forderungen nach Gleichbehandlung aller Körper. Doch Social Media hat die Botschaft weichgespült und kommerzialisiert. „Kommerziell verträglich bedeutete, dass nur ein Merkmal vom Standard abweichen durfte: dick, aber perfekt geschminkt; behindert, aber jung und weiß“, kritisiert Lechner. Die Body-Positivity-Welle der 2010er-Jahre war ein Fortschritt – aber einer mit Schönheitsfilter. Repräsentation auf Werbeplakaten bedeutet eben noch lange nicht, dass die patriarchalen und kapitalistischen Strukturen, die Frauen kleinhalten, sich geändert hätten.


Kapitalismus, Patriarchat – und die Abnehmspritze

Warum ausgerechnet jetzt wieder dieser Skinny-Hype? Das liegt das an einem toxischen Dreiklang:

  • Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy haben den Mythos befeuert, schlank könne ja jetzt wirklich jede:r sein.

  • KI, Filter und digitale Avatare erschaffen ein Schönheitsideal, das in der Realität niemand erreichen kann 

  • Politische Rückschritte: Die erstarkende extreme Rechte propagiert nicht nur das Ideal der dünnen, weißen Frau, sondern definiert gleich mit, wie ein „gutes Frauenleben“ auszusehen hat – häuslich, fürsorglich und bitte unauffällig.

Kontrolle über Frauenkörper ist immer auch Kontrolle über ihre Selbstbestimmung, warnen Experten. Das zeigt sich auch in TikTok-Trends wie Tradwives, die eine romantisierte Version der 50er-Hausfrau inszenieren – während echte Care-Arbeit in den Videos clever ausgeblendet wird.


SkinnyTok – die neue Pro-Ana-Ära?

Pro-Ana- und Pro-Mia-Foren waren schon in den 2000ern berüchtigt dafür, Essstörungen zu verherrlichen. Mit TikTok ist das Ganze nur schneller, sichtbarer und algorithmisch verstärkt. Laut dem „Beauty Impact Report"geben 27,3 Prozent der 16- bis 39-Jährigen an, sich von Influencerinnen in ihrem Schönheitsideal beeinflussen zu lassen. 72 Prozent der Frauen fühlen sich im eigenen Körper unwohl. Fast ein Viertel würde sogar andere Ausgaben streichen, um sich Schönheits-OPs leisten zu können. „Gerade weil Social Media uns noch tiefer in diese Körper-Illusionen zieht, ist der Druck heute größer als je zuvor“, so Lechner. TikTok hat inzwischen reagiert und verlinkt bei der Suche nach #skinnytok auf Hilfsangebote. Doch der Algorithmus findet immer neue Wege, ähnliche Inhalte zu pushen.


Schönheit ist Macht. Oder Kontrolle.

Schönheit ist politisch – das zeigt sich nirgendwo so deutlich wie im Kampf um das weibliche Körperbild. Wer nicht in die Norm passt, wird ausgeschlossen: im Job, beim Dating, in der medizinischen Versorgung. Und solange mit immer neuen Problemzonen Unsicherheiten geschaffen und Produkte verkauft werden, sind wir nicht frei. Und ja, in Krisenzeiten ist der Drang, wenigstens den eigenen Körper im Griff zu haben, besonders groß. Doch dieser Kontrollzwang ist nicht Befreiung – er ist ein Werkzeug, das Frauen in eine permanente Selbstoptimierungsschleife zwingt.


Riot, don’t diet!

Die Rebellion gegen Schönheitsnormen beginnt nicht auf der Waage, sondern im Kopf. Wer sich jeden Morgen fragt, ob der Bauch flacher, die Oberschenkel straffer oder das Gesicht „clean“ genug ist, lebt nicht frei – sondern unter einem Regime, das vorgibt, wie ein „richtiger“ Körper auszusehen hat. Aber wir sind keine Optimierungsprojekte. Kein Vorher-Bild. Kein Platzhalter für ein schlankeres, besseres „Ich“. Der weibliche Körper ist nicht das Problem – sondern ein politischer Ort, an dem sich Macht, Kontrolle und Widerstand zeigen.


„Riot, don’t diet“ ist mehr als ein cooler Spruch auf einem Jutebeutel. Es ist ein radikaler Akt, sich dem ständigen Drang nach Selbstverbesserung zu entziehen. Es bedeutet, sich nicht mehr zu fragen, wie man in einem Bikini aussieht, sondern wie es sich anfühlt, sich frei zu bewegen. Es heißt, Nein zu sagen zu einer Industrie, die mit deinen Zweifeln Geld verdient. Empowerment heißt: genug sein. Sich selbst zu empowern bedeutet nicht, jeden Tag im Spiegel zu tanzen und sich wunderschön zu finden – es bedeutet, sich trotz allem den Raum zu nehmen, den man verdient. Auch mit Cellulite. Auch mit Narben. Auch mit einem Körper, der vielleicht gerade nicht performt.


Selbstermächtigung heißt:

  • Kleidung tragen, die Spaß macht, nicht kaschiert.

  • Grenzen setzen, statt gefallen zu wollen.

  • Auf den eigenen Hunger zu hören – körperlich und gesellschaftlich.

  • Den Körper als Verbündeten zu begreifen, nicht als Feind.

Diese Art von Widerstand beginnt leise: im Annehmen, im Weghören, im Sich-zurückholen der eigenen Erzählung. Und dann wird sie laut. In Gesprächen, in der Politik, in der Öffentlichkeit. Denn wer aufhört, sich selbst klein zu halten, macht Platz für Veränderung. Female Empowerment bedeutet auch, die eigenen Körpergrenzen zu respektieren und Schönheitsideale als das zu entlarven, was sie sind: ein Geschäftsmodell, das Profit aus Unsicherheit zieht.


Kurzer Fakten-Check:
  • 33,6 Prozent der Mädchen zwischen 14 und 17 zeigen Anzeichen einer Essstörung (Robert-Koch-Institut).

  • TikTok wird von mehreren EU-Staaten kritisiert, gefährliche Trends wie #skinnytok nicht ausreichend einzudämmen.

  • Essstörungen gehören zu den psychischen Erkrankungen mit der höchsten Sterblichkeit.

Text von Rebecca Stringa

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